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INTERVIEWZivilcourage ist jetzt gefordert

■ Der DGB-Vorsitzende Heinz-Werner Meyer zur Gewalt gegen Ausländer

taz: Herr Meyer, Sie haben die Überfälle auf Ausländer und Flüchtlinge als ein Pogrom bezeichnet, das sich ausbreite wie eine Pest. Fallen Ihnen dazu Versäumnisse des DGB, der Gewerkschaften ein?

Heinz-Werner Meyer: Gravierende Versäumnisse haben wir uns, so glaube ich, nicht vorzuwerfen. Der DGB ist eine multinationale Organisation. In unseren Reihen befinden sich viele ausländische Kollegen, für deren Integration eine Menge geleistet wurde, aber wir haben uns zuwenig mit den Fragen beschäftigt, die aus den gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen der letzten zwei Jahre entstanden sind. Es nützt nichts, gegenwärtig nur zu sagen, es handle sich um ein Problem des Rechtsextremismus. Dies liegt tiefer. Es gibt wohl eine latent vorhandene ausländerfeindliche Grundstimmung und wir müssen uns überlegen, mit welchen Mitteln wir darauf langfristig antworten wollen.

Würde es Sie überraschen, wenn unter den Tätern auch Gewerkschaftsmitglieder wären?

Nein, überhaupt nicht überraschen, dennoch aber sehr betrüben.

Das heißt, auch die Gewerkschaften haben es nicht verstanden, ihre eigene Mitglieder gegen den Ausländerhaß zu immunisieren?

Rund elf Millionen Menschen, wie Sie sagen, zu immunisieren, das gelänge weder politischen Parteien, noch gelingt dies den Gewerkschaften. Es sei denn mit Mitteln, die wir nicht anwenden wollen, die aber beispielsweise in Ostdeutschland in der Vergangenheit angewendet wurden. Letztlich war diese Immunisierung ja auch nur eine Scheinwirklichkeit, wie wir heute sehen.

Was können die Gewerkschaften tun, um ein gedeihliches multikulturelles Zusammenleben zu födern?

Wir brauchen ein Konzept und für mich ist klar, daß es nicht ein Konzept des Gastarbeiters sein kann. Wer von Gastarbeitern spricht, meint ja, daß jemand nur für eine bestimmte Zeit zu Gast bleibt. Wir werden in einem Europa der offenen Grenzen lernen müssen, mit Menschen aus unterschiedlichen Nationalitäten und Kulturkreisen zusammenzuleben. Dabei geht es darum, Ausländer wie Inländer zu behandeln und würdevoll miteinander umzugehen. Wir sind davon noch entfernt, weit entfernt, wie wir jetzt merken. Ein friedliches Europa der Zukunft, das nicht an der Oder oder an der Neiße endet, kann aber nur ein Europa der offenen Grenzen sein. Wir als Gewerkschaften müssen mehr als in der Vergangenheit darauf hinweisen, daß durch die Umbrüche der vergangenen zwei Jahre die Chance für ein friedliches Miteinander der europäischen Völker besteht. Dieses Miteinander entspricht dem Interesse jedes Arbeitnehmers und jeder Arbeitnehmerin in der Bundesrepublik Deutschlands. Dies bewußt zu machen, ist unter den gegenwärtigen Bedingungen eine Herkulesaufgabe, aber wir dürfen uns dieser Aufgabe nicht entziehen.

In den letzten Wochen war die Stimme des DGB, war die Kraft der Gewerkschaften auf den Straßen kaum zu spüren. Haben Sie aus Furcht vor mangelndem Zulauf, so hat es der IG-Chemie-Vorsitzende Hermann Rappe ausgedrückt, den Aufruf zur Großdemonstration unterlassen?

Ich würde nicht die Worte Hermann Rappes wählen, aber wir haben gegenwärtig auch unter den Arbeitnehmern in den Betrieben eine Stimmung, die nicht gerade das unterstützt, was ich als das würdevolles Miteinander bezeichnet habe. Das muß man ganz offen sagen.

Gehört es deshalb nicht gerade zur Pflicht der gewerkschaftlichen Führungsorgane, sich laut und öffentlich zu Wort zu melden?

Ja, wir sind verpflichtet — und Gewerkschaftvorsitzende ganz besonderns — öffentlich für Menschenwürde und Humanität einzutreten, auch dann, wenn es einigen in den eigenen Reihen nicht paßt. Zivilcourage ist jetzt gefordert, und ich wünschte, es gäbe mehr davon. Wir könnten wesentlich mehr bewegen, wenn jeder und jede einzelne das täte, was möglich ist; Jeder von uns ist im Alltag gefordert, sich ganz konkret vor die bedrohten Menschen zu stellen.

Franz Steinkühler hat die Gewerkschaften dazu aufgefordert, vor Ort Patenschaften für Flüchtlingsheime zu übernehmen. Ist das eine Möglichkeit um dem aktuellen Pogrom etwas entgegenzusetzen.

Ich halte das für einen guten Weg, aber so etwas muß schnell zustande kommen. Darüber darf in den Gremien nicht drei Wochen diskutiert werden, um dann auf Punkt und Komma festzulegen, wie man das macht.

Gestern fand ein zweites Parteigespräch beim Kanzler über das Asylrecht statt. Was erwarten Sie von solchen Gesprächen?

Ich erwarte von ihnen, daß man sich wieder auf den Boden der Vernunft begibt. Mein Eindruck ist, daß in der Vergangenheit versucht wurde, daraus eine Wahlkampfveranstaltung zu machen. Es hat mich schon eigenartig berührt, daß die menschenverachtenden Ausschreitungen von Hoyerswerda, kurz vor der Bremer Wahl, sehr schnell auch zu einem Punkt von parteipolitischer Auseinandersetzung gemacht worden sind. Lösungsansätze werden sich nur in einem Bündnis der Vernunft aller Demokraten finden lassen.

Dabei muß man sich darüber klar sein, daß es die Lösung nicht gibt, aber man kann etwas tun, ohne den Art. 16 des Grundgesetzes anzutasten. Eine Beschleunigung des Asylverfahrens ist machbar, auch wenn immer wieder anderes behauptet wird. Das setzt gemeinsames Handeln voraus und erfordert auch dort mehr Personal, wo geprüft und entschieden werden muß. Auch dazu muß man bereit sein.

Zudem muß man ernsthaft darüber reden, ob es Mittel gibt, die es möglich machen, daß ein größerer Teil der im Osten lebenden Deutschstämmigen dort bleibt. Wenn es gelänge, für beide Punkte einsichtige Lösungsansätze zu finden, wären wir schon ein Stück weiter, aber wir hätten damit das eigentliche Grundproblem, die grassierende Ausländerfeindlichkeit, noch nicht gelöst.

Glauben Sie, daß die Asyldiskussion den Schritt von der latenten Ausländerfeindlichkeit zur gewalttätigen Aktion, gefördert hat?

Ja, durch diese Debatte wurde die Bereitschaft der Täter, aktiv zu werden, gefördert.

Hat die CDU das Asylthema als politische Waffe eingesetzt?

Sie hat es ganz ohne Zweifel als Wahlkampfwaffe eingesetzt, aber auch andere politische Kräfte sind vor solchen Versuchungen im Zusammenhang mit Wahlen nicht gefeit. Deshalb wiederhole ich meinen Appell nach einem Bündnis der Vernunft. Kurzfristig mit diesem Thema errungene Wahlerfolge mögen dem jeweiligen Sieger aktuell nutzen, sie schaden auf Dauer aber allen Demokraten und bedrohen viele Menschen unmittelbar.

Sie haben in den letzten Wochen auf zahlreichen Veranstaltungen Partei für Ausländer ergriffen. Hat es in der Mitgliedschaft eine Reaktion gegegeben, nach dem Motto „Mit diesem Vorsitzenden wollen wir nichts mehr zu tun haben“? Kam es zu Gewerkschaftsaustritten? Sind Sie von Mitgliedern beschimpft worden?

Nein, das ist mir bisher nicht passiert. Über Austritte weiß ich in diesem Zusammenhang nichts. Wenn es sich um eine nennenswerte Zahl handelte, wäre mir das bekannt geworden. Interview: Walter Jakobs

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