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INTERVIEWDubrovnik ist seit drei Wochen von der Außenwelt völlig abgeschnitten

■ 1.500 Flüchtlinge kamen am Freitag mit zwei Schiffen aus Dubrovnik im Adriahafen Rijeka an/ Die Armee greift die Außenviertel der süddalmatinischen Stadt an

Rijeka (taz) — Seit dem 2. Oktober ist die kroatische Adriastadt Dubrovnik von der Außenwelt abgeschnitten, Telefonleitungen, Elektrizität und Trinkwasserzufuhr sind gesperrt. Am vergangenen Freitag kamen in Rijeka zwei Schiffe mit 1.500 Flüchtlingen aus Dubrovnik an. Vesna Cicin, die mit ihrem Mann einen kleinen Lebensmittelladen führte, ist mit ihren vier Kindern und 20 weiteren Flüchtlingen im „Uvala Scott“ untergekommen. Von den 800 Betten des Hotels 25 Kilometer südlich von Rijeka sind bereits 427 mit Flüchtlingen belegt.

taz: Wie war die Reise? Wie lange waren Sie unterwegs?

Vesna Cicin: Vorgestern um fünf Uhr früh bestieg ich mit meinen vier Kindern das Schiff in Dubrovnik. Mein Mann blieb zurück. Nach drei Stunden Fahrt wurden wir auf der Höhe der Insel Mljet von der Marine gestoppt und drei Stunden lang durchsucht. Wir mußten nach Dubrovnik zurück, weil Männer mitfuhren. Die mußten alle wieder aussteigen — außer den Verletzten und Alten. Am Donnerstag früh fuhren wir erneut los und wurden an derselben Stelle im Mljet-Kanal wieder gestoppt. Wir liefen in den Hafen von Korcula ein, dort stiegen neue Flüchtlinge hinzu. In Split, das völlig verdunkelt war, stiegen dann zahlreiche Flüchtlinge aus.

Sind Sie aus Dubrovnik?

Nein, aus Mokosica, etwa 15 Kilometer weiter im Süden. Am 2. Oktober flüchteten wir nach Dubrovnik.

Was nahmen Sie alles mit?

Nur paar Lebensmittel und was ich auf dem Leib trug. Das mußte schnell gehen, weil die Soldaten das Dorf ja schon angriffen. Sie wichen dann zwischenzeitlich vor den kroatischen Kräften zurück. Da bin ich noch einmal kurz ins Dorf gegangen. Ich traf schon niemanden mehr an. Und das Dorf hatte immerhin etwa 700 Einwohner. Die Kühe schlenderten frei durch die Straßen. Ich holte nur Paß und Geld und haute gleich wieder ab. Ich fuhr in einem Auto nach Dubrovnik, das mich aufgegabelt hatte. Als wir nach Dubrovnik fuhren, schossen Heckenschützen, die überall an den steilen Abhängen über uns postiert waren, wiederholt auf uns. Erst stoppten wir, dann fuhren wir in einem Höllentempo einfach durch.

Wissen Sie, was mit Ihrem Haus geschehen ist?

Ein Flüchtling, der später von einem noch südlicher gelegenen Dorf nach Dubrovnik flüchtete, erzählte mir, es sei bis auf die Grundmauern abgebrannt. Das Vieh sei an Montenegriner verkauft. Für 1.500 Dinar (40 DM) konnten die einen unserer Fernseher kaufen.

Wo kamen Sie in Dubrovnik unter?

Im Hotel Plakir, da waren wir etwa 900 Flüchtlinge, weitere 800 waren im Hotel Argosy, weitere 600 im Hotel Lapad, insgesamt waren wir 16.000 Flüchtlinge, die sich aus dem Umland nach Dubrovnik gerettet hatten. Die Lage dort ist sehr schwierig. Wir wuschen uns im Meer, meine Kleider riechen jetzt noch nach Salz. Riechen Sie! Das spärliche Trinkwasser, das es aus Zisternen noch gab, wurde fürs Kochen benutzt. Licht gab es keines und in den letzten drei Tagen auch kein Gas mehr.

Wie ist die Versorgung mit Lebensmitteln?

Milch gibt es so gut wie keine mehr, was vor allem für die Mütter mit Kindern eine Katastrophe ist. Keine Früchte, kein Gemüse. Es gibt zwar einige Apfelsinenbäume in der Stadt und ein bißchen Weintrauben. Das war aber schnell weggeerntet. In den Läden gibt es wenig, vor allem Kekse und Schokolade zu überhöhten Preisen. Den Liter Orangensaft, der normalerweise 30 Dinar kostet, gibt es nun für 150. Doch Brot findet man noch. Hunger gibt es nicht, aber Probleme mit Kindernahrung.

Wurde die Altstadt von Dubrovnik angegriffen?

Nein, soweit ich weiß, nur die Außenviertel von Dubrovnik. Sie wurden mit Artillerie beschossen und auch bombardiert. Allerdings wurden auf dem Hauptplatz in der Altstadt Teile einer Granate gefunden. Ein historisches Gebäude, der Rektorenpalast, ist beschädigt, die Fensterscheiben alle kaputt. (Zwei Tage nach dem Gespräch wurde Dubrovnik am Sonntag erneut beschossen — möglicherweise auch das historische Zentrum.)

Haben Sie von Toten und Verwundeten gehört?

Zwei Cousins und eine Tante von mir sind bei Dubrovnik getötet worden. Die Tante war bei einer Freundin zu Besuch, als sie bombardiert wurden, die beiden Cousins, 19 und 17 Jahre alt, wurden von einer Granate getroffen, als sie den Schutzkeller verließen. Es waren neun Jugendliche, die zusammen standen, alle tot. Interview: thos

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