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INTERVIEW„Genauso schlimm wie die Schäden selbst ist, daß nichts zu ihrer Beseitigung getan wird“

■ Der Biologe und Greenpeace-Mitarbeiter Thomas Henningsen, der die Katastrophenregion in Kuwait besichtigt hat, über die ökologischen Folgen der brennenden Ölquellen

taz: Am heutigen Mittwoch wird in Kuwait die letzte Ölquelle gelöscht und das Ende der Brandbekämpfung gefeiert. Wird auch Greenpeace eine Flasche Schampus aufmachen?

Thomas Henningsen: Wir freuen uns wirklich, daß die Feuer endlich gelöscht sind. Aber die ökologischen Folgen dieser Katastrophe sind noch lange nicht beseitigt.

Sie waren zwei Monate in Kuwait. Wie sieht es in der betroffenen Region aus?

50 bis 70 Prozent der Landfläche von Kuwait sind mit einer zentimeterdicken öligen Schicht bedeckt. Die vielen Ölseen, die überall entstanden sind, haben alles Leben ausgelöscht. Die Wüstenökologie ist extrem gestört worden, alle Pflanzen sind abgestorben. Der Fallout von den Bränden ist aber auch über dem Golf niedergegangen. Dadurch ist das Wasser noch mal mit derselben Menge verseucht worden, die bisher schon in den Golf geflossen ist. Also noch mal acht Millionen Barrel (1 Barrel entspricht 159 Litern), eine unvorstellbare Menge. Zehn Prozent des Weltölverbrauchs sind in Kuwait täglich verbrannt und haben Millionen Tonnen von Rußpartikeln in der Luft hinterlassen.

Welche Reaktionen in der kuwaitischen Bevölkerung haben Sie erlebt?

Man muß sich klarmachen, daß es dort keinen blauen Himmel mehr gab, daß es schon 400 Kilometer südlich zehn Grad kälter war. Aber in Kuwait ist Öl ein Heiligtum. Alle sind durch das Öl reich geworden, also kann das Öl der Bevölkerung keinen Schaden zufügen. Hinzu kommt, daß die Menschen katastrophal schlecht über die gesundheitlichen Risiken aufgeklärt worden sind. Trotzdem ist unübersehbar, daß die Bronchialerkrankungen und die Atemwegserkrankungen sehr stark zugenommen haben. Wir haben mit Patienten und Ärzten gesprochen und gemerkt, wie wenig man selbst in Gebieten mit dicken Rauchfahnen über die gesundheitlichen Folgen informiert war.

Die Rettungsmannschaften werden jetzt abziehen. Was bleibt zu tun?

Das wichtigste ist, die Bevölkerung endlich aufzuklären. Noch ist alles in der Luft, vor allem die vielen krebserregenden Stoffe. Die Bevölkerung müßte sich aus den hauptsächlich betroffenen Regionen zurückziehen. Dann muß endlich die ölige Rußschicht auf der Erde beseitigt werden. Denn auch diese Schicht besteht aus toxischen Komponenten. Außerdem sickern Millionen von Litern Öl langsam ins Grundwasser und gefährden die Wasserversorgung. Die Ölseen müßten also ebenfalls schnell beseitigt werden.

Wurde hier bisher nichts getan?

Man hat sich natürlich zunächst darauf konzentriert, die Ölfeuer zu bekämpfen. Viele sagen, daß man sie sehr viel schneller hätte löschen können. Man weiß ja, daß die Amerikaner ihre Monopolstellung nicht aufgeben wollten. Die Organisation war außerdem sehr schlecht, und mitten in dem Desaster, als gerade 300 Ölquellen gelöscht waren, hatten die Kuwaitis nichts anderes zu tun, als 300 neue zu bohren.

Anfangs hieß es, das Löschen der Ölquellen werde fünf, vielleicht auch zehn Jahre dauern. War das eine Fehleinschätzung oder Panikmache?

Das ist schwer zu beurteilen. Es war sicherlich von beidem etwas dabei. Was schon sehr auffällt, ist die Tatsache, daß man für die Hälfte der Feuer sechs Monate brauchte und für die andere Hälfte nur noch ganze vier Wochen. Das lag vor allem daran, daß endlich mehr Bekämpfungsteams und mehr Firmen zugelassen wurden.

Trotzdem noch mal nachgefragt: Hat Kassandra nicht etwas zu laut gerufen? Es gab ja absolut düstere Szenarien bis hin zur Prognose weltweiter Klimaveränderungen...

Auch wenn die globalen klimatischen Veränderungen nicht eingetreten sind: dies bleibt eine der größten Umweltkatastrophen, die jemals auf unserem Planeten stattgefunden haben. Das darf man nicht vergessen. Und was die klimatischen Auswirkungen betrifft, sollte man sich vor Augen halten, daß fast über ein Jahr lang zehn Prozent des Weltölverbrauchs hier zusätzlich verbrannt sind. Das hat sicher erhebliche Auswirkungen auf den Treibhauseffekt — auch wenn keine unmittelbaren massiven Klimaveränderungen die Folge sind.

Die Feuer sind jetzt gelöscht, aber an den Küsten soll noch immer Öl ins Meer laufen...

Wir waren vier Wochen an der saudiarabischen Küste. Dort ist ein 700 Kilometer langer Küstenstreifen vom Öl verseucht. Wir fanden keinen einzigen sauberen Abschnitt mehr. In Alaska hat man nach dem Tankerunglück wenigstens noch einige saubere Zonen gehabt, hier ist alles unter dem Öl begraben. Es gibt sehr flache Abschnitte wie an der Nordsee, es gibt Lagunen, Mangroven, aber das Öl hat alles Leben erstickt. Genauso schlimm wie die Schäden selbst ist die Tatsache, daß nichts getan wird, um sie zu beseitigen. Wir haben auf unserer Fahrt gerade 50 Mann gefunden, die mit Schaufeln und Spaten den Schlick abgetragen haben, um ihn dann hinter die Dünen zu kippen. In Alaska waren 11.000 Mann beschäftigt, um das Öl abzutragen, hier niemand.

Ein ganz anderes Problem in der Region sind die Waffen und Minen aus dem Krieg...

Das ist ein großes Problem. Es sind so viele Waffen versteckt und zurückgelassen worden, daß wir jeden Tag Explosionen hörten oder in der Zeitung lasen, daß Kinder verletzt oder getötet wurden. In der Wüste haben wir immer wieder tote Kamele oder Pferde gefunden, die auf eine Mine getreten sind. Auch hier muß Kuwait geholfen werden. Interview:

Manfred Kriener

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