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INTERVIEWBei der Kernfusion ist ein Super-GAU nicht auszuschließen

■ Der Bremer Atomgutachter Roland Kollert über die Gefahren der „sauberen und sicheren“ Fusionsenergie/ Die Wirtschaftlichkeit ist noch völlig offen

taz: Ist die Kernfusion wirklich eine Sensation?

Roland Kollert: Kernfusionprozesse sind schon vor dem Versuch vom letzten Samstag durchgeführt worden. Zuerst in der Wasserstoffbombe, dann aber auch in den fünfziger Jahren im Labor. Jetzt ist es über zwei Sekunden gelungen, eine sich selbst aufrechterhaltende Fusion bewerkstelligt zu haben. Gegenwärtig wird gerade darüber gesprochen, diesem Projekt, weitere Gelder von der EG zukommen zu lassen. Denn das JET-Projekt in Culham, das seit acht Jahren existiert, läuft im nächsten Jahr aus, wenn nicht jetzt die EG-Kommision eine Verlängerung bewilligt.

Haben die zwei Fusionssekunden möglicherweise das Forschungsprojekt gerettet?

Das macht man heute so. Man gibt mit Presseerklärungen experimentelle Ergebnisse bekannt, wenn sie politisch nutzen. Deshalb ist zu vermuten, daß da ein Zusammenhang besteht.

In den zwei Sekunden ist eine 1,4-Megawatt-Energieleistung erreicht worden. Ist die Kernfusion zumindest theoretisch nicht doch die einzige Ergänzung zur Sonnenenergie?

Die genannte Megawattleistung ist zunächst Strahlungsenergie. Deren Umwandlung in nutzbare Energie ist noch lange nicht gelöst. Die Forscher selbst sprechen von einer Mindestzeit von 50 Jahren bis zur technischen Anwendung von Fusionsreaktoren, wobei die Wirtschaftlichkeit noch völlig offen ist. Es ist richtig, daß der Brennstoff für Fusionsreaktoren theoretisch sehr lange Zeit reichen würde. Das ist Deuterium und Tritium, das aus Lithium erbrütet wird. Die Sonnenenergie bedarf keiner Ergänzung.

Bei der Kernfusion wird ebenso, wenn auch nicht in dem Maße wie bei der Kernspaltung, Radioaktivität freigesetzt.

Bei normalem Betrieb wird radioaktives Tritium freigesetzt. Aber vor allem wird ein Super-GAU nicht ausgeschlossen, auch von der Bundesregierung, der zu einer Tritiumfreisetzung von 100 Billiarden Becquerel führen könnte.

Wie gefährlich ist so eine Menge?

Das entspricht aktivitätsmäßig etwa jener Menge Cäsium 137, die der Reaktorunfall von Tschernobyl freigesetzt hat.

Also ist die Kernfusion nicht ungefährlich?

Ein Kernfusionsreaktor ist äußerst kompliziert aufgebaut: Er läuft unter Vakuum, das Plasma ist hocherhitzt, das Magnetfeld ist nur unter Supraleitung aufrechtzuerhalten. Deuterium und Lithium müssen laufend zugeführt und die Energie abgeführt, daß heißt die Wände laufend gekühlt werden. Außerdem sind enorm hohe Neutronenstrahlungen vorhanden. So ein komplizierter Reaktor kann Störfälle haben, und es kann zu einer massiven Freisetzung von radioaktivem Tritium kommen.

Fallen auch radioaktive Abfälle an?

Während der Betriebszeit eines Reaktors muß die Wand eines Reaktors mehrmals ausgetauscht werden. Das sind allein etwa einhundert Kubikmeter radioaktiver Abfall — Strukturmaterial, etwa Stahl, den die intensive Neutronenstrahlung radioaktiv gemacht hat. Es wird damit gerechnet, daß der leicht- und mittelaktive Abfall eines Fusionsreaktors größer ist als der eines Kernspaltungsreaktors. Davon geht übrigens auch die Bundesregierung aus.

Die durch Kernfusion gewonnene Energie ist also keine saubere und absolut sichere Energiequelle?

Sauber trifft nicht zu wegen der Tritium-Probleme und des anfallenden radioaktiven Abfalls. Sicher trifft nicht zu, weil es Störfälle mit massiver Radioaktivitätsfreisetzung geben kann.

Die Grünen haben kritisiert, daß mehr Gelder in die Fusionsforschung fließen als in die Entwicklung alternativer Energien?

Mir liegen Zahlen vor, nach denen während der Legislaturperiode von 1983 bis 1988 etwas über eine Milliarde Mark für die Fusionsforschung in der Bundesrepublik ausgegeben worden sind. Das entspricht etwa der Summe für die Erforschung aller erneuerbaren Energiequellen in diesem Zeitraum. Interview: Bärbel Petersen

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