INTERVIEW: „Viele Bluter hätten sich nicht mit dem Aids-Virus infizieren müssen“
■ Der Bremer Autor Egmont R. Koch hat bereits vor einem Jahr aufgedeckt, daß Pharmaunternehmen und Ärzte von 1982 bis 1985 verseuchte Blutpräparate verteilt und verabreicht haben/ Das Bundesgesundheitsamt hat davon gewußt, aber nichts dagegen unternommen
taz: Seit wann ist die Gefahr bekannt, daß sich Bluter durch Blutpräparate mit dem Aids-Virus HIV infizieren können?
Egmont Koch: Die ersten Alarmmeldungen kamen im Frühjahr 1982 aus dem Seuchen-Gesundheitszentrum in Atlanta in den USA. Dort erkannte Bruce Evatt, daß drei Bluter an dem damals noch als „Grid“ bekannten Symptom erkrankten. Er äußerte den Verdacht, daß es sich um eine über das Blut übertragene Erkrankung handeln könnte. Das hat sich dann durch weitere Fälle bestätigt. Parallel dazu infizierte sich ein Bluter in der Bundesrepublik, der im Mai 1982 verstarb. Ende 1982 hat es die ersten Alarmrufe von seiten der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde gegeben, die auch in der Bundesrepublik gelandet sind. Nur damals wurden sie nicht ernst genommen.
Wann hat das Bundesgesundheitsamt reagiert?
Das Bundesgesundheitsamt (BGA) reagierte zum ersten Mal im Dezember 1982. In einer 'Schnellinformation‘ teilte es mit, daß es von den Amerikanern gehört hätte, daß sich durch Blutprodukte eine neue Risikoerkrankung übertragen lasse. Nach amerikanischen Erkenntnissen liege eine spezielle Gehirnerkrankung vor, die multifokale Leukenzephalopathie. Das war genau die Erkrankung, an der auch der Deutsche verstorben war. Spätestens da hätten in Bonn alle Alarmglocken klingeln müssen, daß es sich bei diesem Patienten womöglich um die gleiche Erkrankung wie in den USA gehandelt hatte.
Das Bundesgesundheitsamt hat also nichts unternommen?
Sie haben lediglich gesagt: Wir haben da was aus Amerika erfahren, achtet da mal drauf. Unter den behandelnden zwölf bis 15 Ärzten hat es nur einen gegeben, der im Frühjahr 1983 in Hamburg vor einer Katastrophe gewarnt hat. Er forderte, diese Krankheit als Seuche sehr ernst zu nehmen und den Blutern nichts zu geben, die es nicht unbedingt brauchen. Ein halbes Jahr später revidierte er seine Warnung. Die Krankheit gelte nur für die amerikanischen Bluter und nicht für die deutschen. Das BGA schloß sich dieser Meinung an und sah keine Notwendigkeit, etwas zu unternehmen. Bis zum Oktober 1985, nachdem die Industrie die ersten Maßnahmen ergriffen hatte, das Blut erhitzte und der HIV- Test da war, reagierte endlich das BGA.
Was machten die Amerikaner in dieser Zeit?
In den USA fanden im ersten Vierteljahr 1983 sehr viele Tagungen statt, immer initiiert von Bruce Evatt. Damals wußten die Wissenschaftler noch nicht sicher, daß es ein Virus ist, der diese Krankheit verursacht. Evatt bot einen Ersatztest an, um homosexuelle Spender als Blutspender auszuschließen. Mit diesem Vorschlag ist er überall auf Granit gestoßen. Dieser Test wäre für viele lebensrettend gewesen. Einige Universitätskliniken haben ihn auf Eigeninitiative sehr erfolgreich angewendet. Aber generell hat sich der Test weder von der US-amerikanischen noch von der deutschen Gesundheitsbehörde durchsetzen lassen.
Hätte der Ersatztest wirklich die Aids-Katastrophe eindämmen können?
Der Test hätte zumindest dafür gesorgt, den Blut-Pool sauberer zu halten. Und die Ärzte hätten nicht allen Blutern, wie den leichteren Fällen, in diesem Risikozeitraum von 1982 bis 1985 Blutplasmen mit dem Faktor8 verabreichen müssen.
Was heißt Faktor8?
Bei Blutern besteht ein Mangel an Gerinnungsfaktoren, der bei jedem einzelnen unterschiedlich ist. Der wichtigste ist Faktor8. Er sorgt dafür, daß das Blut gerinnt. Er wird aus gespendetem Blut in großen Pools gewonnen, als Eiweiß isoliert und gezielt als eine Art Ersatz den Patienten injiziert. Dadurch können auch prophylaktisch Blutungen verhindert werden. Leichte Fällen, die eine Restgerinnungsfähigkeit haben, müssen nicht prophylaktisch behandelt werden.
Das Bundesgesundheitsamt behauptet dagegen, wenn die Bluter den Faktor8 nicht bekommen hätten, wären sie gestorben.
Das ist absurd. Eine Reihe von Blutern hätten in dem Risikozeitraum von 1982 bis 1985 nicht weiterbehandelt werden müssen. Die meisten Bluter hätten vorübergehend auf andere Ersatzfaktoren umsteigen oder ganz verzichten können. Den Ärzten muß vorgeworfen werden, daß sie nicht differenziert haben. Sie haben nicht verhindert, daß auch solche Bluter sich infizieren konnten.
Welche Interessen stehen dann dahinter?
Die Behandlung von Blutern ist ein Klüngel. In der Bundesrepublik gibt es etwa zwölf bis 15 Zentren mit behandelnden Ärzten, die diese Bluter in ihrer Obhut haben. Es gibt die überschaubare Zahl der Patienten und eine Reihe von Herstellern, die diese Zentren mit den Blutpräparaten versorgen. Die behandelnden Ärzte der Bluter sind stark von der Pharmaindustrie abhängig gewesen. Die Hersteller haben in allen Zentren Zusatzkräfte finanziert und besondere Vergünstigungen ermöglicht. Es gab da eine klare Abhängigkeit von einzelnen Zentren direkt zu einzelnen Pharmaunternehmen. Die Pharmaindustrie hatte, als die Lager voll waren, kein Interesse daran, diese Produkte zu vernichten. Im Jahre 1983 hat die Bayer-Tochter Cutter bereits Aids-Szenarien entwickelt, welche Folgen die Aids-Katastrophe für Bluter haben kann. Das heißt, sie haben genau gewußt, was auf sie zukommt und haben Tote in Kauf genommen. Und sie haben sich mit Händen und Füßen gegen den Ersatztest gewehrt und nichts unternommen, was die Produkte sicherer gemacht hätte. Dabei geht aus einem internen Papier der Bayer-Tochter hervor, das ein Erhitzen das Aids-Virus durchaus unschädlich gemacht hätte, als sich die Aids-Krankheit 1983 immer mehr abzeichnete. In dieser Zeit hat auch das BGA nichts unternommen.
All das haben Sie und Ihre Mitautorin Irene Meichsner vor einem Jahr in dem Buch „Böses Blut“ offengelegt. Dem 'Spiegel‘ liegt ihr Bericht auch seit dieser Zeit vor. Wie kommt es, daß er erst jetzt damit an die Öffentlichkeit geht, ohne Sie überhaupt zu nennen?
Das ist Medienpolitik und eigentlich sehr beschämend. Einiges wurde dazu veröffentlicht, aber weil die Betroffenen geschwiegen haben, drang wenig nach außen. Sie haben die Stigmatisierung befürchtet, wollten keine Prozesse riskieren und haben sich von den Pharmafirmen entschädigen lassen. Insofern fanden die Ärzte, Hersteller und Krankenkassen in den Betroffenen die besten Verbündeten. Alle hatten kein Interesse daran, daß es publik wird. Durch den Blut-Skandal in Frankreich, über den die taz am 25. Oktober berichtete, erinnert man sich wieder an die Praktiken in der Bundesrepublik, an die etwa 250 Todesfälle und weit über 1.500 HIV-infizierten Bluter.
Interview: Bärbel Petersen
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