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INTERVIEWMit der Briefkampagne die Angelegenheit auf eine politische Ebene bringen

■ Auf Bitten der taz hatte sich Salman Rushdie zum Beginn der Kampagne zu einem Fernsehinterview bereiterklärt. Es wurde am Sonntag in den ARD-„Tagesthemen“ gesendet.

Frage: Sie leben nun drei Jahre unter der Androhung des Todesurteils. Wie werden Sie in so einem langen Zeitraum mit der Bedrohung, der Isolation und der Furcht fertig?

Salman Rushdie: Nun, das ist schwierig, aber ich denke, es ist leichter in den Momenten, in denen ich fühle, daß ich dagegen ankämpfe. Was ich auch für wichtig halte und was der Grund ist, warum ich heute hier bin, ist die Initiative in Deutschland, für die ich mich hiermit bedanken möchte.

Letzten Sommer wurde der italienische Übersetzer der „Satanischen Verse“ angegriffen, und kurz danach ist Ihr japanischer Übersetzer ermordet worden. Haben Sie in diesem Moment oder zu anderen Zeiten daran gedacht aufzugeben?

Es hat nie einen Moment gegeben, in dem ich aufgeben wollte, außer vielleicht in ganz dunklen Zeiten. Es ist ganz klar, daß das Problem zu bedeutend ist, um einfach aufzugeben, weil es nicht nur darum geht, ob ich ein guter Schriftsteller bin oder nicht, ob ich ein gutes Buch geschrieben habe oder nicht oder ob die „Satanischen Verse“ eine andere Art von Buch sind. Es handelt sich um ein ganz grundsätzliches Problem: Es geht nämlich um das Problem der Freiheit, also darum, daß man in einem freien Land sagen kann, was man fühlt, daß man Kunstwerke schaffen kann, so gut man es vermag; wenn die Leute sie dann nicht mögen, so ist das zwar eine Schande, aber die Freiheit zu Schreiben und zu Veröffentlichen ist eine grundsätzliche Freiheit. Und dazu gehört auch eine weitere Grundfreiheit, nämlich die Frage der Souveränität, die darin besteht, ob wir, als Bürger freier Gesellschaften, vor der Bedrohung durch terroristische Angriffe von seiten ausländischer Regierungen sicher sein können. Das ist ein ganz wesentliches Problem, das weit über mich als Individuum hinausgeht.

Ich meine, mit das Wichtigste in den letzten drei Jahren war das Gefühl für eine weltweite Krise, bei der es zunächst um die Persönlichkeit einer Person ging und sich von da aus weiterentwickelte. Ich möchte damit aber sagen, daß das gegenwärtig nicht der zentrale Punkt ist. Das Hauptproblem ist hier die Frage des staatlichen Terrorismus, der meiner Meinung nach uns alle angeht. Heute geht es gerade mal um mich. Und wenn diese Kampagne, diese Angriffe auf mich und die anderen, die etwas mit den „Satanischen Versen“ zu tun haben, erfolgreich sein sollte, kann es morgen jemand anderen treffen.

Im Jahre 1990 gab es eine Art von Ungewißheit, als Sie Anstalten zu einer Aussöhnung mit dem Islam machten. Warum haben Sie das getan, und wie denken Sie heute darüber?

Oh, nicht das, was die große Masse der normalen Leute denkt, von denen viele ebenso wie ich über den Extremismus beunruhigt sind. Ich habe ernsthaft an die moslemische Gemeinschaft appelliert. Wenn sie jemals die „Satanischen Verse“ lesen sollten, würden viele von ihnen feststellen, daß sie keinen Streit mit mir haben. Es geht um ein politisches Problem, das eine politische Lösung erfordert.

Glauben Sie immer noch an die Erneuerung des islamischen Denkens?

Natürlich. Genau das habe ich immer zu sagen versucht. Überall, wo es moslemische Gemeinschaften gibt, sei es in den moslemischen Ländern oder dort, wo sie sich in der Minderheit befinden, wie z. B. in Indien, wo ich aufgewachsen bin, findet man eine große Zahl von fortschrittlichen Denkern, die meinen, es sei sehr wichtig, daß sie anfangen, sich mit ihrer eigenen Vergangenheit in einer radikalen, geschichtsbewußten und säkularisierten Weise auseinanderzusetzen.

Und wie kann diese Frage heute gelöst werden?

Ich glaube, der einzige Ausweg für mich besteht in der Unterstützung und Entrüstung der Bevölkerung von Großbritannien, von Europa und der ganzen Welt. Was ein politisches Problem zu einer Lösung bringt, ist meiner Meinung nach politischer Druck. Mit einer Kampagne wie der Brief-Kampagne der tageszeitung und ähnlichen Initiativen soll der britischen Regierung und den europäischen Regierungen gesagt werden, daß es sehr wichtig ist, diese Angelegenheit auf einer politischen Ebene zu behandeln, weil sie nicht auf einer persönlichen Ebene gelöst werden kann. Die iranische Regierung muß dazu gezwungen werden, die Aggressionen zu beenden, die gegen internationales Recht und gegen die internationalen Konventionen verstoßen, die sie selber mit unterzeichnet hat. Es ist klar, daß sie diese obszönen Angebote von Geld und anderen Belohnungen für die Ermordung von Menschen widerrufen muß. Das muß geschehen, und der einzige Weg dahin ist, daß die Regierungen der freien Welt deutlich machen, daß sie darauf bestehen, daß das geschieht. Nur wenn sie das tun, wird das geschehen. Wenn nicht, dann nicht.

Die Fragen stellte Sabine Christiansen

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