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INTERVIEWDie Bundeswehr-ABC-Truppe muß ran

■ Der Kieler Toxikologe Otmar Wassermann fordert, die Giftgranaten der Ostsee zu heben

taz: Direkt nach dem Krieg haben die Alliierten in der Ostsee große Mengen an (deutschen) Giftgasbomben- und Granaten versenken lassen. Welche Gefahr geht heute noch von diesen Waffen aus?

Otmar Wassermann: Die Gefährdung hängt vom Korrodierungsgrad und vom Inhalt dieser Granaten ab. Wenn es sich um organische Phosphorsäureesther, wie zum Beispiel Tabun, handelt, kann man hoffen, daß diese Stoffe bei langsamem Freiwerden sich tatsächlich zu unschädlichen Spaltprodukten auflösen. Wenn es sich aber um Stickstofflost handelt, der in einer Form hergestellt worden ist, die sich besonders lange im Gelände hält, dann wird dieses Lost auch im Seewasser nicht so schnell zersetzt. Für Fischer, die ungeschützt mit ihren Grundnetzen diese Granaten berühren oder sie gar hochholen, besteht akute Gefahr.

Wenn ein Fischer eine solche Granate im Netz hat, was muß er dann tun?

Wenn eine Granate sich im Netz verfangen hat, ist die Situation noch verhältnismäßig klar. Dann wissen die Fischer sofort, daß sie sich in Lebensgefahr befinden. Aber wenn ein Netz diese korrodierten Granaten berührt und damit diese klebrige Giftmasse am Netz und auch am Fang sich befindet, dann ist das für Fischer natürlich nicht zu erkennen. Sie berühren das Netz und kommen in eine hochriskante Situation.

Die entsprechenden Behörden argumentieren, im Grunde liegen die Granaten dort gut, wir wissen zumindest nichts Besseres. Sollte man die Granaten nicht einfach liegenlassen?

Nein, das kann man nicht. Bei den Verursachern dieser Situation handelt es sich ja um Umweltvergifter. Auch die Rechtsnachfolger stehen in der Verantwortung für die Sanierung. Wir können eine solche Hypothek nicht einfach durch Wegschauen und Nichtstun den nächsten Generationen überlassen.

Wer könnte die Giftgranaten denn beseitigen?

Uns interessiert hier vor allem die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches. Es ist unerläßlich, daß die Bundesregierung unter Beachtung der bestmöglichen Sicherheitsstandards alles tut, um diese Giftfracht am Meeresgrund zu heben.

Das heißt also die Bundeswehr-ABC-Truppe oder Privatfirmen?

Ich würde dieses Risiko nicht gerne auf Privatfirmen abwälzen. Wozu halten wir uns denn mit großem finanziellem Aufwand die sogenannten ABC-Truppen der Bundeswehr? Diese Leute sind geübt, trainiert in dieser Frage. Die Ostdeutschen haben sogar noch viel größere Erfahrungen aus der NVA. Ich fordere, daß diese Spezialtrupps eingesetzt werden zur Bergung der Munition und zu ihrer fachgerechten Entsorgung.

In den sechziger Jahren soll auch die ehemalige DDR dort Kampfstoffe abgelagert haben.

Diese Waffen fallen dann aber in eine andere Altersklasse. Wie durchgerostet sie sind, kann annähernd sicher nur von Munitionstechnikern beantwortet werden. Nach unseren Informationen sind zehn Jahre aber nicht ausreichend, um die Manteldicke solcher Granaten durchrotten zu lassen.

Eine Frage zu der umstrittenen Giftgasblase, die angeblich vor Bornholm liegt. Ist denn überhaupt denkbar, daß sich diese Kampfstoffe zu einer Giftgasblase vereinen?

Für mich ist das auch schwierig vorzustellen. Allerdings ist es unter den Sedimentationsbedingungen am Meeresboden vorstellbar, daß sich in Jahrzehnten Gasblasen bilden. Die Echolotwerte, die für die Blase gemessen wurden, scheinen ja eindeutig zu sein. Wenn man nun diese Blase an einer Stelle findet, wo die Giftmunition verklappt wurde, ist der Verdacht berechtigt, daß ein Zusammenhang besteht.

Das könnte dann eine Gasblase sein, die zusätzlich auch Giftgas enthalten würde?

Richtig. Das können hauptsächlich irgendwelche Faulgase sein, die am Grund der ohnehin ökologisch heruntergekommenen Ostsee entstehen. Der Verdacht auf Giftgase ist damit nicht ausgeräumt. Interview: Hermann-Josef Tenhagen

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