INTERVIEW: Es gibt nur noch wenige Juden in Saloniki
■ Zahlreiche jüdische Familien fanden im damaligen Herrschaftsgebiet der Osmanen eine neue Heimat — bis die Nazitruppen in Griechenland einmarschierten/ Gespräch mit dem 73jährigen, in Saloniki geborenen Jizchak Mosche
taz: Seit wann leben Sie in Tel Aviv?
Jizchak Mosche: Ich bin 1949 aus Griechenland hierhergekommen, meine Frau und unsere Zwillingstöchter kamen noch im gleichen Jahr nach. Mein Sohn kam hier auf die Welt. All meine übrigen Verwandten in Saloniki sind im Holocaust umgekommen.
Wie ist es Ihnen gelungen zu überleben?
Im Frühjahr 1940 wurde ich zur griechischen Armee verpflichtet und beteiligte mich am albanischen Krieg gegen Italien. Ein Jahr danach kam der Einmarsch der Nazis, und ich wurde — wie die meisten Juden — verhaftet und zur Arbeit in die Steinbrüche von Tempi geschickt. Von dort bin ich im Juli 42 geflohen und habe mich bei den Partisanen gemeldet. Ich war unter den ersten Partisanen, die etwa 70 km von Saloniki entfernt eingesetzt wurden.
Wie stark waren die Partisanengruppen?
Es gab insgesamt 60- bis 70.000 Partisanen in Griechenland. Am 4. Dezember 44 begann der Bürgerkrieg gegen die königlich-griechischen Truppen und gegen die Engländer. Daran habe ich mich jedoch nicht beteiligt. Nach dem Varkisa- Abkommen mit den Engländern bin ich schließlich nach Saloniki zurückgekehrt. Es begann dann eine Terrorwelle gegen Kommunisten, zu denen ich gehörte. Ich beteiligte mich im Rahmen der Gewerkschaften an dem Widerstand der Untergrundbewegung. 1948 wurde ich verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Geheimpolizei brachte mich aus dem Gefängnis in ein Militärlager in Athen. Von dort gelang es mir zu flüchten und mit falschen Papieren nach Israel zu entkommen. Hier mußte ich wieder in der Armee dienen, wurde Offizier und beteiligte mich an den Kriegen der Jahre 1956 und 1967.
Können Sie mir etwas über das Schicksal der Juden in Saloniki erzählen?
In zwei großen Wellen wurden die Juden im Jahre 1943 und 44 nach Deutschland deportiert. 96 Prozent der deportierten Juden sind nie zurückgekehrt. So ist auch meine Familie umgekommen. Die Partisanen haben, wo es möglich war, jüdische Leben gerettet. Auch die griechische Befreiungsorganisation „Elas“ hat Juden gerettet, die später nach Israel ausgewandert sind. Insgesamt sind 500 bis 600 Juden aus Saloniki nach Israel gekommen. Heute gibt es dort noch 1.200 Juden. Ein Verwandter von mir, Leon Ben Mayor, ist jetzt Vorstand der jüdischen Gemeinde.
Kennen Sie die Geschichte der Juden in Saloniki?
Sehr bald nach der Vertreibung aus Spanien kamen spanische Juden auf dem Seeweg nach Saloniki — wie auch in andere Hafenstädte des Mittelmeers. Die Juden in Saloniki waren meist Handwerker, kleine Kaufleute, Hafenarbeiter und Tabakarbeiter. Sie waren an den Aufständen gegen die Türken beteiligt. Bevor die Nazis nach Griechenland kamen, gab es in Saloniki 60.000 Juden. In der Vergangenheit war Saloniki eine der wenigen Städte Europas mit einer jüdischen Mehrheit. Heute ist die jüdische Gemeinde eine kleine Minderheit in Saloniki. Das Gespräch führte Amos Wollin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen