INTERVIEW: „Im Falle einer Niederlage werden wir loyale Opposition sein“
■ Spiro Dede, stellvertretender Vorsitzender der Sozialistischen Partei Albaniens, vertritt das neue Politikverständnis der Ex-Kommunisten
taz: Herr Dede, Ihre bisherige Karriere war kurz, führte aber steil nach oben...
Dede: Ich bin 1972 in die Partei eingetreten, bekleidete aber keine Funktionen, bis ich auf dem Parteitag der Partei der Arbeit 1986 Kandidat des ZK wurde. Die Studentenbewegung des Dezember 90 und die demokratische Welle haben mich in die Führung gespült. Als Sekretär des ZK seit Anfang 91 versammelte ich eine Gruppe junger Leute, wir arbeiteten zusammen die Plattform aus, die auf dem Parteitag Juni 91, als sich die PAA in die Sozialistische Partei wandelte, angenommen wurde. Seither bin ich stellvertretender Vorsitzender.
Im Juni 91 wählte überraschenderweise eine als konservativ geltende Parteitagsmehrheit eine reformerische Führung und nahm ein sozialdemokratisches Programm an. Ihre Erklärung dafür?
Der Programmentwurf hatte tatsächlich kaum Berührungspunkte mit der Programmatik der PAA. „Diktatur des Proletariats“, „Marxixmus-Leninismus“, „Klassenkampf“, „Sozialistische Produktionsverhältnisse“ — wir haben das ganze alte Begriffsarsenal abgeworfen und uns zum Rechtsstaat, zur nationalen Versöhnung und Einheit, zur Öffnung zur Welt bekannt. Wir haben das Programm im Mai veröffentlicht und stellten jedes Mitglied vor die Wahl: entweder du teilst unsere demokratischen Positionen oder du trittst aus. Der überwiegende Teil der Mitglieder war einverstanden. Insofern kam die Zustimmung nicht aus heiterem Himmel.
Wenn es eine klare und öffentliche Auseinandersetzung gab, wie kommt es dann, daß das als erzkonservativ geltende Politbüro- Mitglied Gjoni das Hauptreferat zur Verteidigung des Reformkurses hielt?
Den Konservativen blieb nichts übrig, als sich den neuen Verhältnissen anzupassen. Gjoni hat nur langsam von den alten Verhältnissen Abschied genommen und wurde vom Parteitag in keinerlei Funktion gewählt.
Kann man sagen, daß eine Gruppe von Intellektuellen den Apparat überrannt hat?
Wirklich erstaunlich war, wie wenig Widerstand geleistet wurde. Sicher hatten eine Anzahl von Funktionären ihre Vorbehalte, aber sie äußerten sie nicht öffentlich. Wirklich gekämpft hat nur die Witwe Hoxhas, Nexsmije, die auf dem Parteitag offen dogmatische Positionen verteidigte. Sehr viele einfache Parteimitglieder, vor allem in den Hochburgen der Partei im Süden, haben sich geweigert, die demokratische Wende mitzumachen. Sie traten nach dem Parteitag in die neokommunistische Partei ein, die sich damals gründete.
Die Partei hat zwei Drittel ihres Mitgliederbestandes gehalten. Weshalb diese Treue? Spielt Opportunismus eine Rolle?
Warum Opportunismus? Jeder kann doch in andere Parteien eintreten. Falls Sie Trägheit meinen — bei uns sind seit Januar 91 10.000 junge Leute eingetreten. Die Idee eines modernen, demokratischen Sozialismus ist attraktiv.
Die Partei besitzt nichts mehr
Wie steht es mit dem alten Parteivermögen?
Die alte Partei hat sich nirgendwo als Eigentümer eintragen lassen. Grundstücke, Betriebe, Häuser, Druckereien — die Partei hatte es nicht nötig, sich Eigentumstitel zu sichern. Sie war der Staat, nahm sich, was sie wollte. Sie agierte wie ein feudaler Großgrundbesitzer, der nach Gutdünken auf Land Anspruch erhebt und sich kein Jota um das Grundbuch schert. Nach der demokratischen Wende haben wir festgestellt, daß uns nicht einmal die Parteizentrale gehört. Sie gehört dem Staat. Er hat uns im September vergangenen Jahres ein Drittel des Gebäudes zur Verfügung gestellt, bleibt aber der Eigentümer. Das gleiche gilt für die Druckerei, die dem staatlichen polygraphischen Institut gehört. Wir zahlen für den Druck unserer Zeitungen wie andere auch.
Wie steht es mit Konten, mit Valuta?
Wir verfügen über 1,8 Millionen Dollar. Zur Zeit des engen Bündnisses mit China gab uns die chinesische Regierung ein Darlehen, dem eine Spende zugeordnet war, die nach Wunsch der KP Chinas ausdücklich der Unterstützung der Parteiarbeit dienen sollte. Die PAA hat dieses Geld der Staatsbank überwiesen. Selbst wenn wir das Guthaben einlösen wollten, wäre die Staatsbank mangels Devisen dazu nicht in der Lage. Über Auslandskonten verfügt die Partei nicht.
Wieviel hauptamtliche Funktionäre beschäftigen Sie heutzutage?
Die Zentrale beschäftigte vor der Wende 420 Funktionäre — vom ersten Sekretär bis zum Fahrer. Jetzt sind es 15. Im Land haben wir noch 130 hauptamtliche Parteiarbeiter, die aus dem Fond der Staatszuschüsse bezahlt werden, die anteilig an alle Parteien gehen.
Die Parteiprogramme sind jetzt ziemlich ähnlich. Worin sehen Sie die Hauptdifferenzen zur Demokratischen Partei?
Es gibt tatsächlich keine so großen Unterschiede. In den Zielsetzungen nicht, auch nicht in den wesentlichen Reformprojekten. Die Differenzen betreffen die Methode. Wir sind für einen stufenweisen Übergang zur Marktwirtschaft. Außerdem muß der Übergang sozial möglichst verträglich gestaltet werden.
Sind Sie für die Beibehaltung eines breiten Staatssektors in der Industrie und für die Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften?
Wir sind, wie gesagt, für stufenweise Privatisierung. Natürlich sind wir gegen die Wiedereinführung der LPGs.
Die Demokratische Partei wirft den Sozialisten Demagogie vor. Sie — die Sozialisten — sollen behaupten, daß nach dem Sieg der Opposition den Bauern das gerade zugeteilte Land weggenommen und den alten Großgrundbesitzern übereignet werden soll.
Tatsächlich hat sich ein Teil ehemaliger Großgrundbesitzer oder deren Erben in der DP organisiert und verlangt die Rückgabe ihrer Länder. Im Programm der DP steht, daß das Eigentum der Großgrundbesitzer vor der Agrarreform von 1946 anzuerkennen ist. Andererseits sagt der Führer der DP, Sali Berisha, daß alle Eigentumsrechte, also auch die neugewonnenen, anzuerkennen sind. Das würde auf Entschädigungsregelungen hinauslaufen. Aber die Bauern sind tatsächlich beunruhigt.
Die Politik der Isolation war ein Verhängnis für uns alle
Zurück zu Ihnen. Sie sind groß geworden, als Albanien sich vom Ausland vollständig abgekapselt hatte. Schien Ihnen das damals eine selbstverständliche Lebensweise?
Die Politik der Isolation war ein Verhängnis für uns alle. Das habe ich immer gesagt — unter guten Freunden. Die Intelligenz hat sich innerlich mit der internationalen Isolierung nie abgefunden — auch nicht die junge Generation der 70er und 80er Jahre.
Gab es Strömungen in der Partei, die für diese Unzufriedenheit Ausdruck waren?
Es gab sie sogar in der Parteiführung. Aber eine öffentliche Kritik an der Linie der Abkapselung und Autarkie war auch in den 80er Jahren unmöglich. In der zweiten Hälfte der 80er wurde dann im Milieu der Intellektuellen eine immer deutlichere Sprache gesprochen. Ich war mit dem Schriftsteller Ismail Kadare befreundet, und wir haben beide auch gegenüber der Parteiführung eine Kursänderung in Richtung Öffnung des Landes und Respektierung der Menschenrechte gefordert.
Kadare setzte damals gewisse Hoffnungen auf Ramiz Alia, dann kam er aber zu dem Schluß, daß Alia sich nicht entscheiden kann.
Genauso war es.
Was für ein Mensch war Enver Hoxha?
Er war der liebenswürdigste Mensch, wenn er der Meinung war, sein Gegenüber sei ein makelloser, ein „reiner“ Genosse. Der kleinste Zweifel, eine Information unsicherster Art genügte ihm, ihn fallen zu lassen und zu vernichten. Mochte er auch ein Duzfreund gewesen sein.
Haben Sie Hoxha verehrt oder ihn gefürchtet — oder beides zugleich?
Ich habe Enver Hoxha verehrt, erst in den 80er Jahren begann sich dies zu ändern
Ich muß gestehen, ich habe diesen Mann verehrt. Erst in den 80er Jahren begann sich sein Bild in mir zu ändern. Man muß wissen, daß ich nie ein allseitiges Bild der Tätigkeit dieses Mannes gewinnen konnte und nicht das Ausmaß einschätzen konnte, in dem er für das Verhängnis Albaniens verantwortlich war. Keiner konnte das. Wir waren von Kindheit an erzogen worden, die Lebensumstände hier in Albanien als etwas Natürliches hinzunehmen.
Was hatten Sie konkret mit Hoxha zu tun?
Ich war verantwortlicher Redakteur für die Herausgabe seiner Werke und habe in dieser Funktion seine Erinnerungen redaktionell bearbeitet und für den Druck vorbereitet. Er hat sich zweimal mit mir unterhalten, sehr freundlich, sehr generös. Natürlich müssen Sie bedenken, daß ich kein hoher Funktionär war. Als ich ihn Anfang der 80er Jahre kennenlernte, war er schon von Krankheiten gezeichnet.
Gibt es bei Ihrer Partei eine Kommission zur Rehabilitierung der unschuldig Verfolgten?
Wir haben nach dem Parteitag Juni 91 auf meinen Vorschlag hin eine solche Kommission eingerichtet. Diese Kommission sprach eine summarische Rehabilitierung für alle verfolgten Parteimitglieder aus. Das war ungenügend. Wir hätten zu jedem einzelnen Fall Stellung beziehen müssen.
Gibt es Verfolgte, die im Rahmen der Sozialistischen Partei wieder aktiv werden wollen?
Ja. Das Merkwürdige dabei ist nur, daß diese Genossen auch nach 15 oder 20 Jahren Haft ihre kommunistischen Überzeugungen nicht aufgegeben haben — und wir sind keine kommunistische Partei mehr.
Könnten von Seiten dogmatischer Kräfte bei einem Wahlsieg der Demokratischen Partei Unruhen provoziert werden?
Kaum, dazu sind sie zu schwach. Bei uns ist es nicht wie in der Sowjetunion. Zwar gab es hier eine extrem dogmatische Version des Kommunismus, trotzdem oder vielleicht deswegen hat die kommunistische Ideologie keine tiefen Wurzeln schlagen können.
Wird Ihre Partei bei einer Niederlage die Rolle einer loyalen Opposition übernehmen?
Ja. Interview: Christian Semler
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