INTERVIEW: „Dinge ohne jeden Stil"
■ Der russische Installationskünstler Ilya Kabakov versteht sich als Mittler zwischen der russischen Zivilisation und dem Westen — wie ein Doppelspion
Ilya Kabakov, geboren 1933 in Dnjepropetrowsk, ist einer der gefragtesten Künstler des internationalen Kunstbetriebs. Mit seinen kleinteiligen, raumgreifenden Installationen vermittelt er wie kein anderer bildender Künstler, was Rußland einmal war und vielleicht noch ist. Seine Arbeit „Die Toilette“ ist auf der Documenta IX zu finden, und zwar direkt hinter dem Fridericianum, im Hof. Mit Kabakov sprachen Durs Grünbein und Ulf Erdmann Ziegler.
taz:Moment, wir haben noch Schwierigkeiten mit dem Aufnahmegerät.
Kabakov:Das ist meine Schuld.
Ihre Schuld?
Ich habe keinen guten Kontakt zu Maschinen.
Sie benutzen nie Maschinen oder Motoren in ihrer Arbeit. Ist das Handwerkliche an der Kunst für Sie eine ethische Frage?
Diese Frage habe ich mir noch nicht gestellt. Aber seit der Kunsthochschule in Moskau gehören für mich Kunst und Handwerk zusammen.
Sie leben aus einem Schatz von Erinnerung. Ist die Arbeit, die sie nun machen, nur im Westen möglich?
In Rußland ist so etwas gar nicht möglich. Da gibt es keinen Hammer und keinen Nagel, ganz einfach.
So einfach war die Frage natürlich nicht gemeint.
Ich denke, ich bin ein Mittler zwischen der russischen Zivilisation und dem Westen, wie ein Spion. Ich vermittle die russische Problematik in die westliche Sprache.
Sie sprechen also die Sprache des Westens?
Ich bin auf beiden Seiten.
Wie bei Carré?
Ja, als Doppelspion.
Die Dinge, die man in ihrer Wohnhütte — die zugleich Latrine ist — sieht, sehen ungeheuer vernachlässigt aus. Aber es ist nicht eigentlich Armut, was man sieht, und die Wohnstätte scheint auch nicht gänzlich verlassen.
Aber die Türen sind doch offen. Es gibt schon die Möglichkeit der Flucht.
Sehen sie Ihre Arbeit als ethnologisch an?
Ja, aber die Ethnologie ist nur wie ein Mantel, ein Schutz.
Kannten Sie, damals in den sechziger Jahren, die italienische Kunst der Kärglichkeit, die arte povera?
Unsere Welt war damals völlig geschlossen, nichts drang durch. Anfang der achtziger Jahre habe ich die Reproduktion einer Arbeit von Jannis Kounellis gesehen; auf meiner ersten Reise in den Westen, 1988, dann seine erste Arbeit. Im Gegensatz zur arte povera bleibt für mich das Problem der Form immer ungenau. Assoziationen sind wichtig.
Sie rekonstruieren immer kollektive Orte. Den Dachboden, zum Beispiel.
Ja. Es geht dabei um einen banalen und alltäglichen Stil, ein Grau, ohne Gestalt und Ansicht. Es muß sein wie ein großer gemischter Salat. Die Form muß vage und unpersönlich bleiben — ja, anonym. Wenn die Frage ist „Wer macht das?“, heißt die Antwort: „Man macht das.“
Können Sie mit der westlichen Kunst überhaupt etwas anfangen, etwa mit den sorgsam arrangierten Dingen des alltäglichen Gebrauchs, wie bei Haim Steinbach, (ebenfalls zu sehen auf der Documenta IX)?
Bei Steinbach geht es um den Verkauf, es gibt einen Markt und es gibt eine Wahl: die rosa, die rote oder die braune Kasserole. In Rußland gibt es keine solche Wahl der Waren. Die Wahl dort heißt: Es gibt oder es gibt nicht.
Ist Rußland ein leerer Raum, und der Westen ein Raum der Fülle?
Wichtig ist die Kommunikation zwischen Raum und Objekt. Im Westen ist das Objekt ungeheuer wichtig, der Raum soll möglichst neutral sein, also unbemerkt. Im Osten spielt das Objekt keine Rolle, aber die Räume sind ungeheuer wichtig, die Polizeidienststelle, das Badezimmer; und die bürokratischen Räume sind austauschbar, sie haben dieselbe Identität.
Sie haben im letzten Jahr mehr sechs oder mehr Ausstellungen gemacht...
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Woher kommen, bei dieser Intensität, die vielen Ideen?
Aus Rußland. Es ist wie ein großes Epos, dessen Teile ich nun in die Welt trage.
Wie kommt, in Ihrer Arbeit hier in Kassel, eine alte deutsche Bibel auf's Kanapée?
Eine deutsche Bibel? Ja, das ist alles in Amsterdam gekauft, nur das Bett ist aus Kassel. Man findet das bei dieser Wohltätigkeitsorganisation...
Samariter, Arbeiterwohlfahrt...
...Und das hat alles dieses Mittelmaß. Dinge ohne jeden Stil. Ganz die russische „Mittelklasse“.
Die Materialien kommen also nicht aus Rußland — eine komplette Rekonstruktion?
Ja.
Wie war die Arbeit mit Jan Hoet?
Ganz wunderbar. Er fühlt die Kunst, als wenn er sich selbst die Hand gibt, nicht einem Fremden. Er hat keine Distanz. Er versteht sofort, was ein Künstler sagt.
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