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INTERVIEW»Eine Art Bauhaus«

■ Peter Lilienthal leitet die Sommerakademie an der Akademie der Künste. Der heute 62jährige Kino- und Fernsehregisseur (»Dear Mr. Wonderful«, »Malatesta«) hat zuletzt mit dem Film »Der Aufstand« Aufsehen erregt — eine Dokumentation mit Spielfilmcharakter über den Sturz des Somoza-Regimes in Nicaragua.

taz: Wie hat sich die Idee der Sommerakademie entwickelt?

Peter Lilienthal: Die Akademie der Künste ist ja keine Lehrakademie, sondern sie besteht aus autonomen Mitgliedern, den sechs Abteilungen Literatur, Malerei, Architektur, Musik, Theater — und eben Film und Medien. Wir hatten ursprünglich ein hauptsächlich kulturpolitisches Programm, das heißt, es wurden weniger Filme gezeigt als Zusammentreffen von Wissenschaftlern, Politikern, Künstlern und Philosophen organisiert, die über die Zukunft der Medien oder Gegenwartsprobleme sprachen. Solche Veranstaltungen waren zum Beispiel Generäle für den Frieden oder Künstler in Nicaragua.

Es ist auch wichtig zu wissen, daß die Abteilung zwar vom Kultursenat finanziert wird, aber inhaltlich völlig autonom ist. Wenn ich die Absicht habe, hier Magier und Krokodile einzuladen, dann kann ich das tun. So haben in erster Linie Regisseure Veranstaltungen gemacht, die sie sonst weder finanzieren noch in anderen Institutionen unterbringen könnten. Der Gedanke der Sommerakademie entstand unter anderem aus der Überlegung, daß wir nicht einfach einen Veranstaltungskalender über das Jahr verteilt additiv zusammenstückeln wollen — was wir als ehrenamtliche Mitglieder auch gar nicht könnten — sondern wir konzentrieren uns auf einen Monat, in dem wir Schwerpunkte setzen, an denen kontinuierlich gearbeitet werden kann.

Die nunmehr dritte Sommerakademie ist den Kameraleuten gewidmet. Was waren die Themen der beiden ersten Sommerakademien?

Beim ersten Mal ging es um die neuen Medien und ihr Verhältnis zu den traditionellen Medien, beispielsweise der Umgang mit der virtuellen Realität, Kybernetik, Philosophien über den Verlust der Wirklichkeit. Der Medienpapst Vilém Flusser war ebenso vertreten wie Dietmar Kamper, der auch diesmal wieder dabei ist, aber es gab auch eine Menge Leute, die die neuen Medien genauso scheuten wie andere früher das erste Automobil. Die zweite Sommerakademie widmete sich — ebenso wie die jetzige — einem Berufsbild, damals den Production Designers, den Bühnenbildnern, die hier aus ganz Europa zusammenkamen, um über ihre Arbeit zu sprechen. Dabei geht es nicht um gewerkschaftliche Dinge, sondern um die künstlerischen Möglichkeiten, Zusammenarbeit mit dem Regisseur, mit der Produktion. Damals war auch ein blinder Fotograf bei uns, der durch seine Arbeit den menschlichen Blick, Helligkeit und Dunkelheit in einem ganz anderen, einen metaphysischen Zusammenhang stellte, der über das bloße Abbilden hinausging.

Sie haben gesagt, die erste Sommerakademie habe die Rolle der Sprache in den Medien aufwerten wollen, die dritte jetzt suche nach dem neuen Bild...

Damals hatten wir den deutschen Raumfahrer Furrer hier, der von der Entdeckung der Farbe Schwarz im Weltraum sprach; die Intensität dieser Entdeckung konnte er nicht durch ein Bild vermitteln, sondern eben nur durch Sprache. Wenn Kameraleute hier zusammenkommen, dann zeigen sie natürlich ihre Filme, aber gleichzeitig tun sie, was Marco Polo getan hat, als er an den Hof von Kublai Khan kam. Er erzählte ihm von schönen, fremden Städten und erzeugte in dem Herrscher Bilder, die dann wiederum von dessen Architekten in konkrete, neue Formen übersetzt wurden — so wie das in Italo Calvinos Roman beschrieben wird.

Die Tagung heißt »Meister des Lichts«. Das bezieht sich sicher nicht nur auf die technische Ausleuchtung einer Szene...

Dieser blinde Fotograf, von dem ich vorhin sprach, nimmt — glaube ich — die Welt besser wahr als wir, dringt zum inneren Wesen vor. Der französische Medien-Philosoph Lyotard hat einmal gesagt: »Es wird nicht mehr Nacht«. Wir brauchen die Nacht, um nachzudenken und zu meditieren. Durch die Fülle von Licht und Bildern sehen wir nichts mehr. Der Sinn der Sommerakademie ist, den Begriff von Licht in einem doppelten Sinn wahrzunehmen: Im traditionellen Sinn, in dem es mit Aufklärung verbunden ist, und im handwerklichen Sinn. Aber an dem Blinden, dessen taktiler Sinn so hoch ausgeprägt ist, wurde auch das Problem deutlich, daß ein Filmemacher heute, im Zeitalter der virtuellen Realität, nichts mehr konstruieren muß, sondern nur noch mit einem data-glove in eine künstliche Realität eingreifen kann. Er hat keine Berührung mehr mit dem Material, und, da er vernetzt ist, steht ihm auch kein Subjekt mehr gegenüber.

Ein häufig wiederkehrendes Thema dieser Akademie ist der Einfluß des Fernsehens auf die Arbeit der Kameraleute, den manche für korrumpierend halten.

Blödsinn. Wenn man sich entscheidet, fürs Fernsehen zu arbeiten, dann wird es da Produktionsbedingungen geben, die manche begeistern, manche einschränken. Natürlich trifft die jetzige Generation junger Filmemacher auf mehr Widerstände, politisch zu arbeiten, als das zum Beispiel 1968 der Fall war. Aber das bedeutet nicht, daß wir uns in einer Apokalypse befinden. Das ist genauso wie mit der Entwicklung des Filmmaterials, die zum Teil an künstlerischen Bedürfnissen der Kameraleute vorbeigeht: es gibt größere Probleme zu überwinden, aber auch viel mehr Möglichkeiten. Das sieht man doch gerade in Berlin: Statt zu klagen, sollte man mal zur Kenntnis nehmen, daß man hier der Gründung einer neuen Stadt beiwohnt!

Welche Rolle könnten denn die Medien in dieser Situation spielen?

Sie könnten uns mit der Sicht anderer Länder vom deutsch-deutschen Konflikt zum Beispiel konfrontieren, bei der Öffnung der Gesellschaft mitwirken. Der arte-Kanal hat einen Ansatz, den ich sehr gut finde, so wie ich auch die Minderheiten-Sendungen bei den Dritten Programmen interessant finde.

Meine Frage bezog sich nicht nur auf Inhalte, sondern eben auf neue Techniken, Satelliten zum Beispiel, die von Bedeutung für so einen Integrationsprozeß sein könnten.

Die Holländer haben ein Netz aus kleinen Kollektiven, die Sendelizenzen bekommen und sich über Subskription und nicht nur Subvention finanzieren. Dieses Konzept ist ganz konkret für die Abteilung Film und Medienkunst der Akademie der Künste interessant: Wir entwickeln mit Hilfe von jungen, ausländischen Künstlern das Modell einer Edition — nicht Produktion — bei der von uns auf einem Satelliten Beiträge zur Kultur gesendet werden, die die Künstler selbst in kleinen Kooperativen gestalten, ähnlich wie im Verlag der Autoren. Diese sollen innerhalb Europas miteinander vernetzt sein. Man könnte es durch eine Mischform von Subskriptionen, Sponsoren und öffentlicher Förderung finanzieren. Die Sommerakademie leistet für solche Projekte schon Vorarbeit, ebenso wie das Ost-West- Stipendiatenprogramm. Nehmen wir zum Beispiel einmal an, ein Musiker entwickelt hier eine Oper, in der das Problem der virtuellen Realität auftaucht. Der trifft dann hier auf Menschen aus den verschiedensten Branchen, die zu diesem Thema etwas beitragen — so eine Art Bauhaus eben, mit demselben gesellschaftlichen Auftrag, im Hinblick auf den Gebrauchswert, aber ohne unmittelbaren kommerziellen Druck. Fragen: Mariam Niroumand

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