INTERVIEW: „Aktionen auf eigene Faust sind Hasardeurspiele auf Kosten der Menschen“
■ Holger Baum, Sprecher des deutschen Komitees des UNO-Kinderhilfswerks Unicef in Köln, zu den fatalen Folgen eines humanitären Alleingangs im Kampfgebiet
Frage: Sollte man angesichts der Gefährlichkeit von Evakuierungsmaßnahmen in Bosnien-Herzegowina nicht generell auf solche Hilfsaktionen verzichten? Wäre es nicht besser, den Kindern vor Ort größtmöglichen Schutz und Hilfe zu gewähren?
Holger Baum: Wenn es für eine kleinere Gruppe von Kindern, die erkrankt oder schwerverletzt sind, vor Ort kaum Hilfe gibt — weil es an Medikamenten fehlt, weil es an Geräten fehlt und weil es natürlich auch an Ärzten fehlt —, kann es in Ausnahmefällen durchaus sinnvoll sein, vereinzelt Kinder aus dieser Region herauszuholen. Allerdings sollten sich Hilfsmaßnahmen auf solche Fälle beschränken. Um Gottes Willen sollte niemand versuchen, Kinder in größerem Stil zu evakuieren.
Die Evakuierung der Waisenkinder aus Sarajevo erfolgte offenbar im Alleingang und unter alleiniger Verantwortung der beiden Landtagsabgeordneten. Das Sozialministerium von Sachsen-Anhalt in Magdeburg jedenfalls hat nach eigenen Angaben für die Betreuung nur eine Garantie ab Split (von wo die Kinder nach Deutschland ausgeflogen werden sollten, d.Red.) gegeben, nicht für den Weg durch das Kampfgebiet selbst. Wie beurteilen Sie die Vorgehensweise?
Ich kenne die Lage vor Ort nicht so genau, um mir da ein endgültiges Urteil erlauben zu können. Allerdings würde ich jeden davor warnen, auf eigene Faust eine humanitäre Aktion in Bosnien-Herzegowina zu starten. Denn das ist in der Tat ein Hasardeurspiel auf Kosten der Kinder, auf Kosten der Menschen, denen man helfen will. Man sollte auf jeden Fall über die bekannten und immerhin ja auch sehr kenntnisreichen internationalen Organisationen gehen, wenn man helfen will, und eine solche Aktion keinesfalls ohne Begleitung durch UNO- Kräfte oder ohne Beratung durch die örtlichen UNO-Büros in Bosnien oder Kroatien durchführen. Alles andere ist letztendlich ein Spiel auf Kosten derer, die dann unter Umständen dran glauben müssen — wie jetzt die beiden Kinder. Interview: Berndt Biewendt, Radio RPR
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