INTERVIEW: „Die Anti-Maastricht-Kampagne ist falsch“
■ „Ein Scheitern der Verträge würde zum Einfallstor für politische Rechtskräfte“, meint der grüne Realo Hubert Kleinert
taz: Die rot-grünen Landesregierungen von Bremen, Hessen und Niedersachsen votieren für eine Ratifizierung des Maastrichter Vertragswerks, der Bundesvorstand der Grünen lehnt die Verträge ab. Ist das Nein zu Maastricht unumstrittene Linie der ganzen Partei?
Hubert Kleinert: Einen Parteitagsbeschluß gibt es nicht, aber einen Beschluß des Länderrats vom Juni, der ein „So nicht!“ formuliert. Ich halte diesen Beschluß für falsch und kenne viele, die das genauso sehen. Laut Forschungsgruppe Wahlen ist sogar die Mehrheit der Grün-Wähler für Maastricht. Ich bin der Meinung, daß das Maastrichter Vertragswerk zwar eine Fülle zu kritisierender Punkte aufweist, daß ihm aber diese Addition einzelner Kritikpunkte nicht gerecht wird. Ich kann überhaupt nicht sehen, daß durch eine Ablehnung der Verträge irgendeine positive Entwicklung in die Richtung eines besseren Europas entstehen würde. Im Gegenteil. Ein Scheitern der Verträge würde zum Einfallstor für politische Rechtskräfte, denen die ganze Richtung nicht paßt.
Das klingt wie ein Reflex nach dem Motto: Was meine Gegner ablehnen, Gauweiler, Schönhuber, Le Pen, muß ich verteidigen.
Bei uns und in den Nachbarstaaten macht sich erneut nationalstaatliches Denken breit. Eine Ablehnung der Verträge könnte eine negative politische Dynamik auslösen, die die ganze europäische Einigung ins Rutschen bringt. In dieser Situation finde die grüne Kampagne „Maastricht — So nicht“ falsch. Die Grünen könnten sich damit ungewollt zum Steigbügelhalter für Kräfte machen, mit denen sie gar nichts zu tun haben.
Unter den deutschen Befürwortern von Maastricht wächst die Zahl derjenigen, die eine Volksabstimmung fordern. Sie auch?
Obwohl Anhänger der repräsentativen Demokratie, bin ich hier — bei einer Frage dieser Tragweite — für ein Plebiszit. Viele Maastricht-Befürworter sind mir da zu hasenfüßig, übrigens unnötigerweise. Wenn die Mehrheit der CDU, SPD, FDP und große Teile der Grünen für Maastricht eintreten, warum soll man dann keine Mehrheit bekommen? Ein Junktim zwischen Plebiszit und Vertragsratifizierung sehe ich aber nicht. Interview: Hans-Martin Tillack
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