IN DER PHILHARMONIE : Der Konstantin
Ich könnte heulen, so schön ist es. Auch wenn ich jung bin. Zu jung, um so was zu mögen, sagen Freunde. Was machst du dort?
Frauen mit Ringen an dünnen Fingern und Männer mit graumelierten Haaren drücken sich an mir vorbei. Alt-68er. Und dazwischen ich. Hüsteln. „Entschuldigung, die Dame. Entschuldigung. Ist das Sitzplatz Nummer vier?“ Rucken, Schnaufen, Schieben. „Vielen Dank, das Fräulein. Sehr liebenswürdig. Wissen Sie ich komme jedes Jahr, seit den siebziger Jahren. Seit ich den Konstantin zum ersten Mal in einem Film gesehen habe. Das war ein Film von Margarethe von Trotta, der hieß ‚Schwestern oder Die Balance des Glücks‘, glaube ich. Haben Sie den gesehen? Ach, da waren Sie noch nicht geboren! Natürlich nicht.“ Wieder zu jung, denke ich. „Da hat er mich so berührt mit seinen Texten.“ Seine Mundwinkel ziehen wie von Schnüren gezogen, nach oben. „In meinem Testament steht, dass er bei meiner Beerdigung gespielt werden soll.“ Konstantin, bis in den Tod. „Wieso kommen Sie her?“
Ich überlege. Ich war noch ganz jung, viel jünger als jetzt, als ich den „Willy“ zum ersten Mal gehört habe. Vielleicht war ich zwölf. Es war in unserem Wohnzimmer in Wien. Mein Vater war da. Meine Mutter. Und der Willy, im Hintergrund. Willy, du dummer Hund, du. Freiheit hoaßt koa Angst habn vor neamands. „Freiheit“, hat mein Vater wiederholt, „das ist ein großes Wort. Merke es dir gut. Zuerst denken, dann handeln“, hat er gesagt. Dann haben sie den Willy erschlagen. Direkt in meinem Wohnzimmer. Zum wahrscheinlich tausendsten Mal. Und ich konnte ihn nicht retten. Warum musste der Willy sterben? Bleibt er heute Abend verschont? Der Saal ist voll, die Türen werden geschlossen, das Licht gedimmt. Klatschen. Der Gitarrist kommt auf die Bühne, der Drummer. Wo bleibt er? Und dann sehe ich ihn endlich. Endlich, der Wecker!
STEPHANIE DE LA BARRA