IN BRÜSSEL SETZT SICH MINISTERIN KÜNAST ZWISCHEN ALLE STÜHLE: Die Phantomprämie
Bei ihrem zweiten Auftritt in Brüssel hat sich Renate Künast im dortigen Interessengestrüpp verfangen. Das Kunststück, den Bestandsschutz der deutschen Bauern zu verteidigen, die Ministerkollegen auf ihre Seite zu ziehen und gleichzeitig eine radikale Wende in der EU-Agrarpolitik einzuleiten, hat die Verbraucherschutzministerin nicht vollbracht. Das hätte aber auch niemand anderes geschafft. Anzukreiden ist Künast vielmehr, dass sie alle Ziele gleichzeitig zu erreichen versuchte. Dabei sendete sie widersprüchliche Signale aus – ohne sich nach Bündnispartnern umzusehen.
Wer Künast in Brüssel zugehört hat, muss befürchten, dass nun auch sie vom Prämienvirus befallen ist: Sie hat vorgeschlagen, die Bullenprämie vom tatsächlichen Viehbestand unabhängig zu zahlen. Eine derartige neue Phantomprämie würde auf den in Brüssel geführten Charts der irrsinnigen Vorschläge zur Geldvernichtung einen Spitzenplatz einnehmen. Wenn die neue Ministerin in dieser Art ins Unreine denkt und gleichzeitig dem Agrarkommissar vorwirft, in alten Denkmustern zu verharren, dann darf sie sich nicht wundern, wenn EU-Profis grantig werden.
Dabei könnte Agrarkommissar Fischler der Bündnispartner werden, den Künast so dringend braucht. Dafür müsste die Ministerin aber bereit sein, aus seiner Perspektive einen Blick in die Rinderställe zu werfen. Deutsches Steak zu Dumpingpreisen trägt dazu bei, dass die Märkte kleinerer Nachbarländer vollends zusammenbrechen. Und das nun in Deutschland gespannte Sicherheitsnetz plündert die letzten Reserven im EU-Budget.
Künast sollte Verständnis dafür aufbringen, dass Fischler versuchen muss, die aktuelle Krise durch Marktbereinigung zu bewältigen. Dann hätte sie den Agrarkommissar nächstes Jahr an ihrer Seite, wenn bei der Halbzeitbilanz der Agenda 2000 das System grundsätzlich überdacht werden kann. Das wäre der Moment, ein vorgezogenes Ende aller Produktionsprämien zu fordern – gegen den Widerstand vieler Mitgliedsländer, trotz massiver Proteste der deutschen Bauern, aber mit Unterstützung von Fischler. DANIELA WEINGÄRTNER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen