: IM MONDSCHEIN
■ Ein Liebesroman von Francoise Cactus
Meine Bettlaken klebten auf meiner Haut. Nichts konnte meinen Durst löschen. Ich ging leicht bekleidet hinaus, im Mondschein. Der Mond war rund, auf dem vergilbten Kirchturm, wie ein Punkt auf einem i. Zu dieser Stunde begegnet man auf den Straßen bloß eingestaubten mageren Katzen, die wie Ganoven umherirren. Alles, was ihre Geheimtreffs nicht betrifft, läßt sie zutiefst gleichgültig. Sie verschwinden in Mülleimer oder in irgendein Loch.
Der Mann ging wie ein Roboter. Weit nach vorne gebeugt, als ob er einen vom Wind verwehten Hut verfolgte. Sein Anzug, von einer beschissenen, leicht senfigen Farbe war ihm zu groß. Die Segel seiner Hosenbeine klatschten an seinen Waden. Sein Regenschirm klopfte regelmäßig an seinen Arsch, dessen hervorstechende Knochen aus dem abgenutzten Stoff Zelte bildeten.
Dann lief ich neben ihm her. Er sah mich nicht. Nichts macht mir mehr Spaß, als ohne Höschen zu spazieren. Sie dürfen nie Treppen hoch oder runterklettern. Wenn Sie welche runtergehen, werden Sie irgendwann mal wieder hoch müssen.
-Was würden Sie dazu sagen, wenn Sie wüßten, daß ich kein Höschen anhabe?
-Na und? Ich habe auch keins. Sonst hätte ich es Ihnen gerne geschenkt. Besitz ist mir nichts.
-Man siehts.
Er macht nur seinen Reißverschluß auf. Preßt seinen Schwanz in meinen Arsch hinein, so weit, daß ich Jahrhunderte zurück propulsiert werde. Dann dreht er mich um wie ein Omelette und fängt von vorne wieder an. Dabei starrt er auf das Loch, das ich zwischen den Titten habe, je nachdem Sektkelch oder Rachitismal. Ich kann mich nicht bewegen, denn er ist schwer wie Metall. Er krallt sich fest an meinen Oberschenkeln, deren Haut weiß ist, dann etwas violett mit blutroten Strichen, die ich kurz erblicken kann, wenn er seine knochigen Finger leicht hochhebt, um Kraft zu sammeln zum härter drücken.
Er sagt nichts Vulgäres und auch nichts Anderes. Ich sage ihm, daß ich ihn liebe. Absurd aber wahr.
Seine dunklen Augen leuchten in kurzen Abständen auf, und zwar jedesmal, wenn er meine Grenzen spürt.
Er löst sich von mir, und als ich meine Arme um seine Schultern lege, schubst er mich weg und wirft mich auf den Fußboden. Er zieht an meinen Haaren und schleppt mich bis zur Küche, wo kaputtes Glas auf dem Boden liegt. Mein Rücken blutet. Wenn er seinen Pfahl in seine Hände nimmt, um ihn mir zu richten, ziehe ich meine Beine an meine Brust, balle die ganze Kraft zusammen, die ich in mir habe und sprenge ihn gegen die Wand. Es klirrt und Gläser fallen vom Regal. Ich renne zum Zimmer, suche meine Kleidungsstücke zusammen und will wegrennen. Er versperrt mir den Weg. Ich versuche, unter seinen Armen hindurch zu entkommen. Dann fragt er mich wie ich heiße. Mein Name klingt ziemlich sanft. Er beinhaltet viele Nasale und melodische Doppelvokale und am Ende bleibt er in der Luft hängen.
Ich gehe mit ihm ins Bett. Wir legen uns unter die Decke. Während er schon schläft, berühre ich schüchtern seinen Körper.
Ich schloß die Augen auf. Sah die Sonne durchs Fenster. Der Mann an meiner Seite war kalt. Als ich mein Ohr auf sein Herz legte, hörte ich nichts. Am Ende der Decke guckten die Füße raus. Starr wie offene Fächer. Aus dem Schädel kam ein leichtes Geräusch, eine Art Ticken, diskret wie bei einem modernen Wecker.
Ich kniete nieder und, den Kopf in den Händen, weinte leise. Dann zog ich mich an und machte mich aus dem Staub.
Ich habe genug Väter gehabt, haarige, rasierte, dekorierte, heruntergekommene. Sie standen Schlange, um meine Erziehung in die Hand zu nehmen. Ich sehe noch ihre dicken Finger auf den dünnen Brüsten meiner Mutter, ihre kleinen Titten, deren Milch sie mir nicht mal anbot, da die Nachbarin ihr erzählt hatte, es würde den Busen zum Hängen bringen. Sie hat immer eine fürchterliche Angst davor gehabt, ihre Spitzchen könnten runterrutschen. Jeden Morgen machte sie den Bleistifttest: Sie stellen sich nackt vor den Spiegel hin und halten einen Bleistift unter eine Brust, dann lassen Sie los, wenn der Bleistift runterfällt, haben Sie gewonnen, wenn der da hängen bleibt, sind Sie verloren. Der Bleistift meiner Mutter rollte unfehlbar auf den Teppich, und ich sah auf ihre Pobacken, während sie auf allen Vieren kroch, um ihn wieder zu finden. Sie trieb mich raus mit ihrer hohen Stimme. Bei ihr ging sowieso alles nach oben. Sie hatte an der Spitze des Schädels einen Dutt mit mehreren Stockwerken, wie bei einem Geburtstagskuchen, eine Trompetennase, Schultern wie ein Kleiderbügel, den in die Höhe gerichteten Busen, prallende Hüften, man wunderte sich, daß ihre Füße tatsächlich den Boden berührten. Sie war dafür geschaffen, sich in den Himmel schicken zu lassen. Das machte sie auch, aus beruflicher Verpflichtung, um die Göre (mich) zu ernähren, die darauf beharrte, so fett wie ein Schraubenschlüssel zu bleiben, wozu denn all die Anstrengungen, sich Geschlechtskrebse holen für solche Art von Schmutzliesen, die nichts essen wollen, das Land nicht mögen und nach nichts aussehen. Also, mein erster Vater, das war Georges, ein echter Koffer. Riesengroß, monumental, mit einer dicken Bärenstimme, die mich am Anfang erschrecken ließ, aber schließlich war er doch nett, er hat mich nie etwas gefragt. Manchmal zog er sein Hemd aus, um zu kochen, er roch gut, nach Kernseife aus Marseille, er war ein gepflegter Mann, wenn er sich beim Rasieren schnitt, klebte er sich Stücke von Zigarettenblättchen ans Kinn. Er mochte Büchsensardinen sehr, und da er eine enge Kehle hatte, legte er Haut und Gräten weg. Er schälte auch Weintrauben, schnitt sie entzwei und ließ mit seinem Messer die Kerne fliegen. Er aß nur mit seinem Taschenmesser, hielt absolut nichts von Silberzeug, sogar wenn man ihn bei Maxim's eingeladen hätte, ich wette, er hätte es aus seiner Hose gezogen, geöffnet, an seinem Ärmel abgewischt, neben den Teller hingelegt, dann hätte er den Gar?on gerufen und ganz laut gedröhnt, er dürfe dieses Ding wieder mitnehmen, womit man nicht einmal ein Stück Scheiße durchschneiden könne. Der zweite hieß Leo. Gleichzeitig gab es den Onkel Marcel. Ich weiß nicht, ob sie verwandt waren, auf jeden Fall haben sie sich mehr als einmal die Fresse vor der Tür eingeschlagen, was mit sich brachte, daß die Nachbarn ständig hinter ihren dreckigen Fingern flüsterten, als sie mich vorbeigehen sahen. Leo hatte einen unbeschreiblichen Bauch, eine Riesenkugel, es war unmöglich, den Boden seines Bauchnabels zu erblicken. Er behauptete, er hätte einen Helm verschluckt. Ein dicker fauler Sack, der mich für seine Magd hielt, hol mir dies, hol mir das, hilf deiner Mutter ... Wenn ich ablehnte, machte er mir Angst, indem er die Grimassen des Kinderfressers nachahmte, der sich in dem Hängeschrank verborgen hielt, dessen Tür man nicht mehr aufkriegte. Die Tür hatte sich blockiert, gerade an dem Tag, wo Leo zum ersten Mal nach Hause zu Besuch gekommen war. Ich erinnere mich genau daran, er stand da wie ein Idiot, mit einem lächerlichen Pipisträußchen. Wenn der Strauß größer gewesen wäre, wäre sein dicker Bauch vielleicht weniger aufgefallen. Meine Mutter bat mich, die Vase aus dem Hängeschrank zu holen. Wir haben zu dritt an der Tür gezogen, nichts zu machen. In der Nacht hörte ich das Holz knarren, jedesmal, als der Fresser sich die Beine wieder gelenkig machte. Dann stellte er sich nochmal hoch und blieb unbeweglich und gerade wie ein Posten aus dem Osten. Meinen Onkel Marcel sah ich praktisch nie, er kam wie ein Wirbelwind, war der Cousin meiner Mutter. Er kniff ihren Po im Flur. Sie machte oh! und wenn Leo seine Stirn runzelte und seine roten Augenbrauen hochzog, sagte sie, sie hätte die Maus gesehen, dann drehte sie sich zu Marcel um und blinzelte ihm zu. Ich, nicht so dumm, begriff alles, aber pfiff keinen Ton, denn ich liebte es zuzugucken, wenn Leo auf Mäusejagd ging, wie ein Ochse schnaufte, brüllte, nur noch Mäuse sah, auf der Wand, auf dem Regal, auf der Stehlampe, überall mit dem Besen rumklopfte, sich anschließend an den Küchentisch niederschlug, verzweifelt, sie verfehlt zu haben. Dann aber brachte ich ihm seinen Wein, ehe er Zeit gehabt hätte, danach zu fragen, ich war nicht mehr seine Magd, ich war seine Pflegerin und wischte mit einem nassen Lappen die dicken Schweißtropfen ab, die in seine Augen fielen. Der nächste, ich weiß nicht mehr, wie der hieß, ich kann mich bloß daran erinnern, daß sein Name überhaupt nicht zu ihm paßte. Er sagte nicht viel. Einmal in der Woche fing der an zu schreien, daß er in diesem verdammten Haus erst dann das Recht hätte, den Mund aufzumachen, wenn die Mutter zur Arbeit wäre, die Göre in der Schule und der Hund angebunden. Dann versank er wieder in seine gewöhnliche Stummheit und der Tisch wurde gedeckt.
Aus der Anthologie „Sex & Drugs made in Thomas Kunzelmann Land“, limited silkscreen/copyprint Edition, printed in Berlin - Bethanien in cooperation with Michael Schönke.
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