IM FERNEN OSTEN ZEICHNET SICH EINE STRATEGISCHE NEUORDNUNG AB: Asien braucht eine OSZA
Als Japans kürzlich verstorbener Ministerpräsident Obuchi Okinawa als Ort für den G-8-Gipfel wählte, wollte er damit die südjapanische Insel wirtschaftlich fördern. Doch seit dem Korea-Gipfel im Juni und seinen Entspannungssignalen stehen auch strategische Fragen in Asien wieder auf der Tagesordnung. Und dafür gibt es keinen symbolischeren Ort als Okinawa. Von hier aus sind es höchstens zweieinhalb Flugstunden nach Tokio, Manila, Taipeh, Schanghai, Seoul, Pjöngjang und Wladiwostok. Daher behielten die USA ihre Militärbasen, als sie Okinawa 1972 an Japan zurückgaben. Zwar fordern viele Einheimische den Abzug des US-Militärs. Doch darüber dürfte vor allem die strategische Neuordnung der Region entscheiden.
Sie steht erst jetzt an; das Ende des Kalten Krieges hatte in Asien nicht so tief greifende Folgen wie in Europa. Viele Konflikte blieben zunächst bestehen: die Teilungen Chinas und Koreas, die Rivalität zwischen Japan und China, der Streit um die Spratly-Inseln und die Versuche der USA und Russlands, ihren Einfluss zu wahren.
Die strategischen Konstellationen veränderten sich jedoch nachhaltig durch die Atomtests in Indien und Pakistan, durch Nordkoreas Raketenprogramm, durch die US-Raketenabwehrpläne und durch die jüngsten innerkoreanischen Entwicklungen. Gerade über Koreas Zukunft wollen alle Mächte der Region mitreden. Dabei sind jedoch die jeweiligen Interessen sehr unterschiedlich.
Am auffälligsten agierte Präsident Putin, der Russland als eurasische Macht in Fernost wieder ins Spiel bringen will. In Peking und Pjöngjang versuchte er, eine Front gegen die US-Raketenabwehrpläne zu schmieden und das Thema auf die G-8-Tagesordnung zu setzen. Zudem ist Moskau an einem Abzug der US-Truppen aus Südkorea interessiert und wünscht sich ein geeintes Korea, um Chinas und Japans Einfluss in der Region zu dämpfen.
Tokio wiederum verlangt von Moskau die Kurilen-Inseln zurück und will sich ansonsten unter den US-Raketenschutzschirm flüchten, den es daher in Okinawa nicht diskutieren möchte. Auch Japan strebt Entspannung zwischen China und Taiwan sowie auf der koreanischen Halbinsel an – doch hat es kein Interesse an einem Zusammenschluss der Chinesen, deren Vormacht unvermeidlich wäre. Auch eine Wiedervereinigung Koreas ist nicht gewünscht, das dann ein ernstzunehmender Wirtschaftskonkurrent werden könnte.
Wie Japan ist auch China nicht an einer Wiedervereinigung Koreas interessiert – allerdings aus anderem Grund: China befürchtet, dass Tokio zu großen Einfluss gewinnen könnte. Gleichzeitig möchte Peking jedoch auch verhindern, dass der Norden zusammenbricht und Millionen Koreaner nach China fliehen. Zumal die Halbinsel dann durch Südkorea und die dortigen US-Truppen kontrolliert würde – den Abzug der Amerikaner fordert Peking schon lange. Überhaupt fühlt sich China durch die militärische Zusammenarbeit der USA mit Japan, Südkorea, Taiwan, Thailand und den Philippinen umzingelt. Gern würde Peking den US-Einfluss in Asien reduzieren, schon um Taiwan die Bedingungen diktieren zu können.
Die USA wiederum wollen ihre Militärstützpunkte in Asien behalten – auch bei einer Vereinigung Koreas. Die USA selbst sehen sich eher als Moderator, betreiben aber eine Machtpolitik, die Widerstände weckt. So bekennen sich die USA offiziell zur Einbindung Chinas, doch die innenpolitische Rhetorik nährt in Peking den Verdacht, dass es isoliert werden soll. Zumal viele Amerikaner China als den künftigen machtpolitischen Rivalen sehen.
Beunruhigend ist, dass die strategischen Konflikte in Ostasien bisher ohne feste Strukturen gelöst werden müssen. Multilaterale Fragen werden nur beim „Asean Regional Forum“ (ARF) diskutiert, das nächste Woche parallel zum Gipfel der südostasiatischen Asean-Staaten in Bangkok tagt. Doch das ARF ist unverbindlich und kann nicht einmal Beobachter entsenden. Ostasien braucht dringend festere politische Sicherheitsstrukturen wie etwa eine asiatische Version der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), damit positive Schritte wie die jüngsten Entwicklungen in Korea nicht zu neuen Konflikten führen. SVEN HANSEN
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