■ III. Wahl: Fast schon I. Wahl
Was läuft eigentlich in den Dritten Programmen mitten in der Nacht? Zum Beispiel:
„Liebe 99“, So., 0 Uhr, WDR
Ist es romantisch, wenn man sich beim ersten Rendezvous pinkeln hört? Eigentlich war man zum Lernen verabredet, doch dann kullert ein Kondom aus der Tasche, und der unpassend anwesende Telekom-Kollege grinst. „Die Chomsky-Hierarchie“ hieß der erste Beitrag einer kurzen WDR-Nacht, in der fünf Absolventen der Kölner Kunsthochschule für Medien ihre Filme vorstellten. Gute Idee, schlechter Sendeplatz.
Dirks Oetelshovens Eröffnungsfilm z. B. machte Spass, viel Spass. Sexualhormone sättigten die Luft, den Rest besorgten Komik, Gestammel, Brian Ferry zum Beischlaf („Dünne Wände!“) und ein Anruf von Mama. So fängt Liebe an – tolpatschig. „Frank“ von Hans Weingartner zeigte, wohin sie führen kann, wenn einer der Liebenden in Notwehr nicht mehr ganz der Norm entspricht und ein Filmemacher zu sehr in seine mannigfaltigen Kenntnisse der Psychopathologie verliebt ist. Zwischen den Beiträgen führten Studenten durch ihre Lehranstalt (Schneideraum, Studio, Tipp-Saal ...) und moderieren ganz unangestrengt: „Das war ein Film, der mich sehr betroffen machen würde, wenn ich ihn denn verstanden hätte.“ Feierlicher Seufzer.
Was bleibt zu sagen? Zweidrittel der Kurzfilme lohnten das Wachbleiben, und ihre Urheber sollten unverzüglich mit Fördergeldern beworfen werden, auf dass sie schnell weitere und längere Filme realisieren können, vornehmlich Oetelshoven und Bettina Braun. Letztere lässt in „Sprech ens aanständich“ eine Kölner Verkäuferin um die 45 von einer späten neuen Liebe erzählen und die Erzählung von einem promovierten Sprachwissenschaftler morphologisch (nicht soziologisch!) erklären. Endlich einmal keine Arbeiter-Ethnologie piefiger Intellektueller, die keinen sweat shop je von innen sahen, sondern simpler Respekt. Sprache (Dialekt und Hochsprache) parallel zur Bildsprache – wunderbar. Liebe Absolventen: Schneller, höher, weiter! Anke Westphal
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