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■ III. WahlWertvoll, ja klassisch

Was läuft eigentlich in den Dritten Programmen mitten in der Nacht? Zum Beispiel:

„Bahnstrecken“, Montag, 4.00 Uhr bis 4.10 Uhr in der Früh, B 1

Züge fahren. Sie fahren von links nach rechts und von rechts nach links. Ein hoch philosophisches Gleichnis! Abschied und Ankunft! Das immer gleiche Rundherum des Weltrades! Oder doch geradeaus und vorwärts? Jedenfalls so ähnlich.

War es Schopenhauer? Oder Nietzsche? Fuhr nicht Nietzsche gern mit der Bahn? Schrieb der Mann nicht einst über ein armes italienisches Pferd – Nietzsches bösester existentialistischer Moment!

Zum grauen Morgen hin wird auf B 1 alle Pein beruhigt. Nicht ein leidendes Pferd weit und breit. Leise summend legt die Wagenschlange wie ein Räuplein am Bahnsteig an, verharrt ein Weilchen, und schon schwummelt das knullige Räuplein anmutig weiter. Felder und Wiesen fliegen lauschig vorbei, und ein anmutiges Wäldchen wohl auch.

Dieser B 1-Bildschirmschoner verdient besonderes Lob. Er ist a) ökologisch und erfüllt somit einen aufklärerischen Zweck: „Schiene statt Kerosin!“ Des Weiteren arbeitet dieser Bildschirmschoner b) unserer lieben Gesundheitsministerin Andrea Fischer zu, indem er den Schlaflosen sanft beruhigt, ihn unmerklich in Morpheus' Arme wiegt und somit das Budget der Nervenärzte nahezu homöopathisch entlastet. Schon erschallet liebliches Schnarchen. Und nicht zuletzt ist dieses feine Zugfahren c) künstlerisch wertvoll, überwindet es doch die Realität, indem es dieselbe in höhere, von allem Hässlichen gereinigte Sphären erhebt.

Kein „Z'rückbleim!!!“ erschrickt das Rehlein im Gebüsch, welches an seiner Häkelborte nagt, kein Torkelnder verstört den Reisenden, und keine jugendliche Schmiererei – igitt – beleidigt das Auge des Betrachters. Freue dich, Schlafloser, bald fahrest Du auch! (Goethe jr.)

Ja, das Fahren in und von Zügen weist geradezu klassischen Wert auf. Und nachts, im Fernsehen, ist immer noch früher, aber nie zu spät! Anke Westphal

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