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IG-Metaller rebellieren gegen Wagner

■ GewerkschafterInnen entsetzt über Berufung von Arbeitssenator Horst Wagner zum Ersten IGM-Bezirksleiter von Berlin-Brandenburg/ »Führungsstil und Politikverständnis« nicht mehr zeitgemäß/ Steinkühler soll andere(n) benennen

Berlin/Brandenburg. Der Einstand in seinen neuen Job könnte schlechter wohl nicht sein: Mit Entsetzen und einem geharnischten Brief an die Zentrale in Frankfurt am Main hat die Berliner Ortsverwaltung der IG Metall auf den Namen des neuen Ersten Bezirksleiters in Berlin-Brandenburg reagiert: Horst Wagner, derzeit noch Senator für Arbeit, Verkehr und Betriebe. Schlichtweg »falsch« und »befremdlich« finden die Berliner GewerkschafterInnen die Personalentscheidung und bitten IG-Metall-Chef Franz Steinkühler, »einen anderen Kollegen oder eine Kollegin zu berufen«. Das Schreiben liegt der taz vor.

Die Entscheidung, Wagner in den hochsensiblen Bezirk Berlin-Brandenburg verantwortlich zu delegieren, fällte der IGM-Vorstand am 9. Oktober in Frankfurt über die Köpfe der Berliner und Brandenburger hinweg. Die schlugen vor Schreck die Hände über dem Kopf zusammen. »Sowohl der Führungsstil als auch das Politikverständnis des Kollegen Wagners,« heißt es in dem Schreiben, »entsprechen unserem Erachten nach nicht den Anforderungen unserer Organisation für die neunziger Jahre.« Und weiter: »In der Öffentlichkeit kann darüber hinaus der Eindruck entstehen, daß ein Kollege, der als Senator gescheitert ist, an hervorgehobener Position der IG Metall immer noch gut zu gebrauchen ist« (siehe Dokumentation auf Seite 28).

Ganz andere Gründe vermuten zum Beispiel Betriebsgewerkschafter des Kabelwerks Oberspree, aber auch führende DGB-Funktionäre, die lieber ungenannt bleiben möchten. Demnach hat Wagners Reputation als alter »Kommunistenfresser« eine gewichtige Rolle gespielt. Entsprechende Meriten verdiente er sich in der Spaltergewerkschaft UGO in den fünfziger Jahren und während seiner hauptamtlichen Tätigkeit für die IGM ab 1967. Wagner, so befürchten die Insider, soll jetzt in der gewerkschaftlichen Aufbauarbeit im Osten Weichen stellen und potentielle Klassenkämpfer oder Linksabweichler niederhalten. Er solle den Zug dauerhaft auf das Gleis Sozialpartnerschaft abschieben.

Wagner wird dann neben Manfred Foede, der weiter Chef der Verwaltungsstelle Berlin bleiben soll, der einflußreichste Metallgewerkschafter in ganz Berlin-Brandenburg sein. Keine Tarifentscheidung in diesem von immensen Strukturproblemen betroffenen Gebiet wird ohne ihn fallen; keine Personalentscheidung, die nicht von ihm abgesegnet werden muß. Der weitgehend erfolglose Arbeitssenator, auch in den eigenen Reihen mehr geduldet als geachtet, soll in Zukunft die arbeitsmarktpolitische Konzeptionen einfordern und erstreiten, die er als Senator versäumt hat zu liefern. Den neuen Job wird er, vorläufig kommissarisch, zum 1.1.1991 antreten. Ab 28. Februar, wenn die ganze Organisationsstruktur der IG Metall mit sieben neuen Verwaltungsstellen in der alten DDR steht, gilt die Berufung dann endgültig.

Trotz der heftigen Kritik ist man in Frankfurt, wie IG-Metall-Pressesprecher Jörg Barczynski erläuterte, mit der Personalentscheidung sehr zufrieden: »Geradezu zwangsläufig zielte alles auf Wagnern.« Gebraucht würden die Qualifikationen, die Wagner in seiner lebenslangen Arbeit bei der IGM gelernt habe. »Erfahrung mit Berliner Metallarbeitern, gewerkschaftliches Know-how und Durchsetzungsfähigkeit sowie die Fähigkeit, bahnbrechende Tarifverträge auszuhandeln«.

Auch der Hinweis der Berliner Ortsverwaltung auf die eher klägliche Figur Wagners als Arbeitssenator wurde in Frankfurt vom Tisch gewischt. »Für uns ist es nicht entscheidend«, sagte Steinkühlers Pressereferent, »ob Wagner ein guter oder schlechter Senator ist, entscheidend sind vielmehr sein Verhandlungsgeschick und seine vielfältigen Beziehungen.«

Die naheliegende Alternative zu Wagner wäre Manfred Foede gewesen, aber dessen »Integrationskraft«, so Barczynski, werde dringend gebraucht, um die Verwaltungsstelle in Berlin zusammenzuhalten. Die wird nach der Vereinigung mit der IG Metall Ost vermutlich zur größten Verwaltungsstelle in ganz Deutschland. Was offensichtlich fehlt, sind qualifizierte GewerkschaftsfunktionärInnen. Denn in dieser Höhenlage, wie auch Pressesprecher Barczynski einräumt, »ist die Personaldecke auch bei der IG Metall sehr dünn«. aku

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