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IG Metall zu AusbildungsstudieÜberqualifiziert und unterbezahlt

Etliche Arbeitnehmer sind weit unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigt. Eine neue Studie sagt, dass so Verdienst und Lebenszufriedenheit sinken.

Ob diese Azubis bei Deutz in Köln später ihrem Qualifikationsniveau entsprechend beschäftigt sein werden? Bild: dpa

STUTTGART taz | Die Geschichte von einem Philosophiestudenten, der Taxifahrer wird, kennt jeder. Doch das Problem der unterwertigen Beschäftigung betrifft nicht nur Philosophen.

Der Bezirksleiter der Gewerkschaft IG Metall in Baden-Württemberg, Jörg Hofmann, spricht vielmehr von einem „breiten Massenphänomen“. Zu diesem Urteil kommt er angesichts einer am Montag in Stuttgart vorgestellten Studie, die die Universität Hohenheim im Auftrag der IG Metall erstellt hat.

Demnach ist fast jeder fünfte Erwerbstätige in Deutschland mit abgeschlossener Berufsausbildung oder Hochschulstudium unterhalb seiner erworbenen Qualifikation beschäftigt. „Die Zahl hat uns sehr überrascht“, sagte Hofmann.

Die Untersuchung weise auf „beträchtliche ungenutzte und damit gefährdete Qualifikationsreserven“ hin. Dies sei vor allem mit Blick auf den wachsenden Fachkräftemangel nicht zu akzeptieren. „Da liegt ein Potenzial brach, mit dem ein großer Teil der Facharbeiterlücke geschlossen werden könnte.“

Frauen und Migranten besonders betroffen

Besonders kritisch sieht Hofmann, dass aus der Studie „Risikogruppen“ hervorgehen, die besonders stark von einer unterwertigen Beschäftigung betroffen sind. Dazu zählen unter anderem Frauen, Erwerbstätige mit Migrationshintergrund oder Teilzeitbeschäftigte.

Die Untersuchung beruht auf den Zahlen des Sozio-oekonomischen Panels, das eine regelmäßige repräsentative Befragung von über 10.000 deutschen Haushalten mit über 20.000 Befragten ist. Sie wird vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung durchgeführt.

Der Autor der Studie, Ralf Rukwid von der Uni Hohenheim, betonte die „weitreichenden Folgen“ einer dauerhaften Unterforderung: zum einen die Tatsache, dass aus volkswirtschaftlicher Sicht wertvolle Ressourcen nicht ausgeschöpft würden, zum anderen aber auch die persönlichen Folgen. Es gebe in der Regel erhebliche Verdiensteinbußen. Außerdem sinke die persönliche Lebenszufriedenheit, so Rukwid.

Gewerkschafter Hofmann fordert deshalb bessere Karrierechancen für Frauen und ein Ende der Diskriminierungen von Beschäftigten mit Migrationshintergrund. „Die Beschäftigten müssen stärker als bisher die Chance erhalten, ihre Fähigkeiten bei der Ausübung ihres Berufes auch tatsächlich einzubringen“, sagt Hofmann. Zudem mahnte er Weiterbildungsanstrengungen bei den Firmen und eine bessere Berufsorientierung an.

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5 Kommentare

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  • D
    Detlev

    Fachkräftemangel?

     

    Also momentan gibt es denn nicht. Es gab sogar eine Berechnung der Memorandumgruppe, dass selbst im Bereich Ingenieure, Informatiker, Programmierer oder best. Naturwissenschaftler ausreichend Deckung zwischen Angebot und Nachfrage besteht, was nicht ausschließt, dass es in einzelnen Spezialgebieten mal zu Engpässen kommt.

    Aber: Es gibt in Deutschland weder einen Fachkräftemangel, noch lässt sich mit Sicherheit prognostizieren, wann er kommt. Was es gibt, sind sehr schlechte, durch Gesetze entstandene Arbeitsverhältnisse und entsprechende soziale, kulturelle und wirtschaftliche Konsequenzen. Daran hat die IG Metall in Person von Peter Hartz, einst für die Vier-Tage-Woche bei VW gefeiert, gesorgt. Die Gewerkschaft selber hat eine dicke Leiche im Keller liegen und deswegen kommt auch Peter Hoffmann nicht drauf, wo es nicht läuft. Als er erstmals radikaler bei Zeit- und Leiharbeit in Tarifverhandlungen verhandelt hat, ging's mit dem Abschluss stark nach Oben?

    Warum wohl?

     

    Weil's das Sparschwein der Unternehmen ist und weil's immer weiter geht. Auch IG-Metaller bei Opel sollen nach der Ausbildung ausgelagert und prekär beschäftigt werden, das ist bei der Gewerkschaft alles kein Geheimnis. Also: Nicht lange schwaffeln und rumstochern, es ist Zeit zur Handlung.

  • W
    Wollo

    Man kann vor allem bei den Medizinern sehen, dass diese keine passenden Stellen finden. Oder wieso ist Herr Rössler in die Politik gegangen. Sicher nicht, weil er dafür besonderst Qualifiziert wäre.

  • DR
    Dr. rer. Nat. Harald Wenk

    20% ist sehr viel. Und das sind wohl die richtig "formell" Überqualifizierten. Da es Migranten und Azsländer noch mehr betrifft, die zudem weniger und schlechtere Qualifikationen haben, satistisch natürlich, und ausserdem noch viel häufiget das

    "Versorgunmgsehen", Vater als Alleinernährer Familienmodell "praktizieren", haben wir richtig (Unter)schichtenbildend und seggregrierend Beschäftigungsstrukturenn. Diese letzten von den Hunden gebissenen sollen über den "Raub" der Qualifikation bei den Deutschen nicht hinwegsehen lassen.

    Pfeifen doch alle Spatzen von den Dächern, dass man keine sichern Ausbildungs oder Studienvoirschläge merh machen kann, seit längerem. Hinzu kommt noch die Prekarisierung, die die Zahl der Überqualifizierten noch steigert und auch das Leben auf den Stellen versauert.

    sOviel besse als im Süden der EU ist es nicht, als dass nicht ein Aufanahme der Proteste hier eien kluge und angemssene Tatfolfe wäre

  • UF
    ulysses freire da paz jr.

    Die Privatisierung der Welt schwächt die normensetzende Kraft des Staates, wie Jean Ziegler es in " DIE NEUE HERRSCHER DER WELT" niederschrieb, stellt Parlamente Regierungen, und folgenderweise was man unter dem Konzept 'DEMOKRATIE' begreift, unter Vormundschaft.

     

    Pierre Clastres in "STAATSFEINDE: DIE GESELLSCHAFT GEGEN DEN STAAT" argumentiert und liefert Beispiele: Die Waldgesellschaften Südamerikas – und nicht nur kleine Stammesgruppen – hatten bis zu ihrer Vernichtung durch die Kolonisatoren diverse Vergesellschaftungsmodelle entwickelt, die Vermachtung und Staatwerdung institutionell dauerhaft vorgebeugt und verhindert haben – im Gegensatz zu den Andengesellschaften mit ihren hierarchischen Staatsgebilden, die unser sogenannten Zivilisation systemisch so viel näher stehen und u.a. daher unser Bild dieser Zeit in dieser Region dominieren.

  • A
    Anne

    Oh, und dann fragen sich die Chefs händeringend, wie sie das Niveau auf der Arbeit verbessern können ... Eigentlich lustig, wenn es nicht so traurig wäre.