IDEALE In einem bemerkenswerten Fotoband zeigt Flurina Rothenberger die Choreografie des Alltags unter afrikanischen Jugendlichen: So jung,so alt
von Dominic Johnson
Afrika ist kein Kontinent von Elend und Not, sondern von Erfindungsreichtum und Veränderungsdrang. Seine eine Milliarde Einwohner sind keine passiv Leidenden und Sterbenden, sondern aktiv Handelnde für ein besseres Leben. Dieses viel gepriesene „neue Afrika“, das mit den alten Klischees vom Katastrophenkontinent bricht, droht mittlerweile selbst zum Klischee zu werden: Allzu schnell stürzen sich Staatsgäste und Wirtschaftspartner heute auf Glitzerfassaden und Wachstumsprognosen, statt die wirklichen Menschen in ihrer Gegenwart wahrzunehmen. Wenn dann hunderttausendfach Boat People aus Afrika über das Mittelmeer kommen oder darin ertrinken, ist das Entsetzen groß und das Verständnis klein.
Jenseits der Klischees ist Afrikas Realität schlichter und spannender zugleich. Die junge Generation, die überall die Bevölkerungsmehrheit ausmacht, ist global vernetzt und steckt faktisch fest. Sie greift nach der Welt und hängt an ihren Wurzeln. Sie ist revolutionär, was die politischen Verhältnisse angeht, aber sozial und moralisch zumeist zutiefst konservativ. Ihre Mittelklasse-Ideale verkörpern für die meisten Europäer den verblichenen Charme der 50er Jahre: Familie und Eigenheim, Auto und Fernseher, Kinder und Harmonie.
Es ist schwer zu sagen, ob die Schweizer Fotografin Flurina Rothenberger in ihrem neuen Afrika-Fotoband diesen Widerspruch bewusst thematisiert oder ob sie, 1977 in der Schweiz geboren und in einer Kleinstadt der Elfenbeinküste in den miefigen 1980er Jahren aufgewachsen, ihn einfach verinnerlicht hat. Aber vom Titel bis zu den vielen Porträtfotos, die in 15 afrikanischen Ländern über den Zeitraum von 2004 bis 2014 entstanden, strahlt ihre Veröffentlichung diese Mehrdeutigkeit des Aufwachsens im Afrika von heute aus: zugleich selbstbewusst und unsicher, strebsam und verspielt, bieder und provokant, eine Mischung von Bodenhaftung und So-Tun-als-ob. Ohne mit dem Finger zu zeigen, machen diese Bilder deutlich, warum Afrika heute weder pauschal in Hoffnungslosigkeit versinkt noch beschwingt dem Glück entgegeneilt. Die Menschen leben wie überall auf der Welt und machen etwas daraus. Das zu verstehen bedeutet allein schon einen willkommenen Klischeebruch.
Das Werk: Flurina Rothenberger, „I love to dress like I‘m coming from somewhere and I have a place to go. Images from the African Continent 2004–2014“. Edition Patrick Fey, Zürich 2015
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