IAA in Frankfurt: Vom Uterus zum iCar
In Frankfurt setzen Autohersteller ganz konservativ auf altbewährte Trigger: schneller, lauter, teurer. Doch einige wagen den Schritt in die Zukunft.
FRANKFURT taz | In manchen Ecken sieht es aus wie in einem Museum für moderne Kunst, mit Motoren als Skulpturen. Sie ruhen wie kostbare Exponate in beleuchteten Vitrinen oder sind frei auf Säulen montiert. Aufgefräst und ausgeklappt, mit Plexiglas über den beweglichen Teilen, damit man sie in Ruhe und Sicherheit umkreisen und bewundern kann.
Mit all ihren Zahnrädern und Riemen, Belüftungsklappen und Ansaugstutzen, Schläuchen, Ventilklappen, Pleueln und Kurbelwellen wirken diese Triebwerke wie anatomische Präparate, die verchromten Herzen freundlicher Roboter. In Glanz und Blüte stehen sie, der Stolz ihrer Ingenieure, und werden doch eines nicht allzu fernen Tages als rührende Relikte des fossilen Zeitalters gelten.
An einem dieser Tage werden wir ihre kernigen Klänge aus dem Internet in unsere Elektromobile laden, damit die nicht allzu lautlos dahingleiten – so wie der dauerhaft mit dem Internet verknüpfte BMW i3, der heute schon in Halle 11 der Frankfurter Messe auf einer riesigen Acht seine Bahnen zieht. Journalisten aus aller Welt stehen Schlange, um mal mitfahren zu dürfen.
Der Kleinwagen ist keine „Studie“, sondern soll ab November mit einem Grundpreis von rund 35.000 Euro in Serie gehen. Das macht ihn zu einer der größeren Attraktionen auf der allergrößten Autokirmes der Welt, der IAA. Elektronische Mobilität und die Verknüpfung der Fahrzeuge mit dem Internet, das sind die beiden Schwerpunkte der Messe.
Sich mal in einen Lamborghini hineinfalten
Mehr als 1.028 Aussteller präsentieren hier noch bis zum 22. September 159 exklusive „Weltpremieren“. Man könnte es auch mit Tarzan oder eben Audi-Chef Rupert Stadler sagen: „Produkt wird hier ausgestellt. Produkt wird gezeigt.“ Am Samstag sind die Hallen für das Publikum geöffnet. Erwartet wird ein großes Publikum, zuletzt waren es weit mehr als 900.000 Leute, die mal einen Maserati anfassen oder sich in einen Lamborghini hineinfalten wollten.
Bedeutung: Die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt am Main und in Hannover ist eine der größten und international bedeutendsten Automobilfachmessen der Welt. An der Autobranche hängt in Deutschland nur jeder 20. Arbeitsplatz.
Zahlen: Auf der letzten IAA Pkw 2011 präsentierten 1.012 Aussteller aus 46 Ländern ihre Produkte. 928.100 Besucher kamen. Erstmals gab es eine „Halle der Elektromobilität“.
Geschichte: 1897 fand die erste Autoschau in Berlin statt. Seit 1953 gibt es alle zwei Jahre die IAA für Personenwagen, in jedem geraden Jahr werden in Hannover die Nutzfahrzeuge ausgestellt.
Zeitraum: Die 65. IAA Pkw 2013 findet vom 12. bis 22. September 2013 statt. Motto: „Die automobilste Show der Welt“.
Eintritt: Tagestickets von 13 Euro (werktags) bis 15 Euro (Wochenende), ermäßigt 7,50 Euro. www.iaa.de
Hierzulande beschäftigt die Branche angeblich direkt mehr als 700.000 und indirekt fast doppelt so viele Menschen, ist aber volkswirtschaftlich wohl nicht gar so wichtig, wie sie sich immer darstellt. Nicht jeder siebte, wie die Industrie behauptet, nur jeder zwanzigste Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Auto ab, wie das Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung unlängst ermittelt hat.
Umso wichtiger ist die Darstellung. Unter „sinnlichen Erlebniswelten“ macht’s kein Hersteller mehr. Bei Mini sieht es aus wie in einer hippen Boutique in London, bei Rolls-Royce gegenüber wie im exklusiven Club, inklusive wichtiger Sinnsprüche von Oscar Wilde oder Leonardo da Vinci an der Wand: „Simplicity is the ultimate sophistication.“
Rollende Festungen mit Darth-Vader-Charme
Bei Mercedes-Benz heißt das: „Sinnliche Klarheit als Ausdruck eines modernen Luxus“, und ist, wie immer das gehen soll, verankert in der „Markenphilosophie“. Ähnlich hoch trabt BMW: „Design ist eine Kultur, die stark von Vision geprägt ist.“ Wobei es vor allem um die Kultur russischer oder chinesischer Oligarchen geht, deren ästhetischen Vorstellungen die meisten Fahrzeuge mit Vollgas entgegenkommen. Selbst Kleinwagen werden optisch zu SUVs aufgebockt, rollende Festungen mit dem Charme eines Darth Vader.
Audi präsentiert sich in einem surrealen Spiegelkabinett, in dem die Hochhäuser ebenso von der Decke hängen wie praktischerweise die Bäume – so bleibt mehr Platz für die Autos. Den Vogel ab schießt VW mit einem extrem limitierten Bugatti ab, der aus 16 Zylindern 1.200 PS holen und fast 3 Millionen Euro kosten soll. Womit der Konzern, der andere Marken aufsaugt wie ein Staubsauger die Fusseln unterm Sofa, seine visionäre und wirtschaftliche Potenz unter Beweis stellen will. Ebenso gut hätten die Wolfsburger aber auch ein lebendes Mammut vorführen können.
Viele Fahrzeuge sind so erschütternd gestrig wie die Praxis, kaum ein neues Modell ohne junges Model vorzuführen, das auf langen Beinen und in farblich abgestimmtem Kleidchen mit festgefrorenem Lächeln danebensteht. Wahrscheinlich „macht man das so“. Es erinnert dennoch an einen Straßenstrich. „Es ist nicht so, dass wir die Frauen nicht mögen“, sagte VW-Chef Martin Winterkorn: „Es gibt halt noch zu wenige Ingenieurinnen, Mathematikerinnen und Naturwissenschaftlerinnen.“ Hostessen gibt es offenbar genug.
Kinetik statt Erotik
Nur BMW setzt auf Kinetik statt Erotik und präsentiert seinen i3 deshalb in Bewegung. Es ist das einzige Fahrzeug auf der Messe, das nicht parkt. Sondern herumfährt. Die 2 Milliarden Euro, die der Konzern in die Entwicklung gesteckt hat, sind ein Bekenntnis zur Elektromobilität – auch weil die Investition auf andere Modelle des Hauses abstrahlen wird.
Die Lithium-Ionen-Akkus liefern 170 PS, sorgen für einen ordentlichem Antritt mit einer Höchstgeschwindigkeit von 150 km/h und eine Reichweite von rund 160 Kilometern. Für die Stadt und den Pendlerverkehr ist das genug, aufladen lässt sich das Ding in 60 Minuten bis 5 Stunden, je nach Anschluss. Allein die Carbonkarosserie ist eine Neuentwicklung und der Konkurrenz – Nissan Leaf, Renault Zoe oder VW E-Up – „um ein Jahrzehnt voraus“, wie Experten sagen. Alles wirkt modern und ökologisch.
Es ist, wenn man so will, das Auto zur Energiewende. Dabei ist der i3 auch nur so sauber wie das Kraftwerk, das andernorts den nötigen Strom produziert – zumal eben doch zur Erhöhung der Reichweite ein Verbrennungsmotor eingebaut wird. Beim i3 ist das ein Zweizylinder aus dem BMW-Motorradsortiment. Andere Hersteller, wie Toyota, setzen auf Hybride aus Batterie und Brennstoffzellen.
Mehr Maserati als Knuddelknubbel
Wie das „i“ im Name schon andeutet, hat sich BMW an Apple orientiert. Was den Kaliforniern die mobile Kommunikation ist, das soll den Bayern die kommunikative Mobilität werden. Bis vor wenigen Jahren ließ sich das Auto tiefenpsychologisch noch als Uterus beschreiben, in dem bisweilen die Beats aus dem Radio den Herzschlag der Mutter simulierten.
Das ist vorbei, die Fahrgastzelle hat sich längst zur multimedialen Kommunikations- und Unterhaltungszentrale geöffnet. Beim Elektroauto Tesla aus den USA schließlich konvergieren Internet und Mobilität sogar auf der Ebene der Hersteller – Firmenchef ist der Paypal-Gründer Elon Musk. Die Firma beliefert mit ihrem Know-how sogar Daimler und fährt inzwischen Gewinne ein. Und das Produkt sieht eher nach Maserati als nach einem Knuddelknubbel aus.
Die Herrschaft des Touchscreens
Knöpfe sind überall vorgestern, allenthalben herrscht der Touchscreen. Darüber gibt es Wetterberichte, Navigation, Staumeldungen, Radio, Parkplätze, Telefonie, E-Mail-Vorlesesysteme und sogar Hinweise zur Weiterfahrt im öffentlichen Nahverkehr.
Das Auto lässt sich nicht nur über das Smartphone ansteuern, sondern wird selbst zum Endgerät, bei VW sogar zu einem rollenden WLAN-Hotspot. Und damit das ganze Gedaddel nicht im Graben endet, steht fürs Bremsen, Spurhalten, Kurvenfahren oder den toten Winkel eine elektronische Eingreiftruppen aus automatischen Fahrhilfen bereit.
So sieht sie aus, die schöne neue Welt. Der Mensch, auch das ist abzusehen, wird eines Tages zum zuschaltbaren Risiko, wie in der Luftfahrt. Wenn er Glück hat und verspricht, dem Computer das Fahren zu überlassen, dann wird er vielleicht noch mitfahren dürfen. Als Fahrgast.
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