■ Kolumne: I love you
Ich saß mit meinen Freunden Nago Hountohué und Nika Bergmann im Doc Cheng's. Wir bemühten uns schon den ganzen Abend, nicht zu Ulrich Wickert hinüberzuschauen, der neben uns saß und auf eine junge Frau einredete, während er in seiner Hand, die er von seinem auf dem Tisch aufgestützten Unterarm abwinkelte, ein sehr großes Rotweinglas schwenkte. „Hat Wickert Sorge, das Mädchen könnte seinen Bestseller Und Gott schuf Paris nicht gelesen haben, oder warum gibt er sich derart frankophil?“, fragte ich. „Ich an Wickerts Stelle hätte Angst, die Frau würde sich in mein Weinglas verlieben und mit dem nach Hause gehen“, sagte Nika.
Wickert und seine Begleiterin bekamen gerade einen Teller serviert, der voll zu sein schien von sehr altem, sehr bösem Käse, als ein Mann an Wickerts Tisch trat: „Herr Wickert, sorry...“ grüßte er mit eingefrorener Heiterkeit. „Dieses Gesicht habe ich kürzlich in einem Magazin-Editorial gesehen. Das Gesicht eines Chefredakteurs, der eisern lächelt, dabei aber Angst hat, dass sein Verleger ihn beim Pasta-Essen demütigt“, sagte Nago. Der Mann sprach weiter: „Herr Wickert, ich bin auch Journalist, wie Sie. Ich dachte, Sie würden mir vielleicht eines Ihrer Bücher signieren...“ Wickert nickte, lächelte, schien dabei allerdings ein wenig verdutzt: Der Bittsteller hatte gar kein Buch dabei, blieb aber stehen, immer unverständlicher stammelnd: „Heft-To-Heft-Business, People-Nester, die Stadt und more, das verhagelt uns die Performance – aus der Serie Best of...“
Die Gäste um Wickert herum begannen, sich umzudrehen. Der Nachrichtenmann und seine Begleiterin fingen an, unruhig mit ihren Messern den Käse zu zerteilen. Noch jemand kam an Wickerts Tisch: „Die habe ich schon im Vorabendprogramm gesehen, die moderiert“, sagte ich. „Herr Wickert, ich bin, ähm, Entschuldigung mein Name ist, ähm, unsere Themen sind, bleiben Sie dran...“, sagte angestrengt grinsend die Frau. „Ein Autogramm für die Dame, Uli!“, rief ein Mann im hinteren Teil des Lokals, während er sich erhob. „Oh, der! Der war mein Chef, als ich bei diesem Online-Newsletter gearbeitet habe“, sagte Nika.
„Herr Wickert!“ Noch jemand war aufgestanden. „Und der ist Programmchef beim Radio“, sagte Nago. Mehr und mehr Leute erhoben sich. „Ulrich, wir müssen, unterschreib!“, riefen sie. „Signieren! News to use!“ Es wurde regelrecht laut. Alarmierten Blickes ging ein Kellner zu Wickerts Tisch. Die beiden tuschelten, Wickert erhob sich: „Ein Kurier ist unterwegs und holt einige Exemplare meines Werks Der Ehrliche ist der Dumme. Wünscht jemand eine spezielle Widmung?“ „ILOVEYOU, ILOVEYOU!“, grölten die Gäste.
„Es war nur eine Frage von Tagen, bis der Virus auch Journalisten befällt“, sagte Nago. Wir bestellten einen 1994er Chateau Verrez.
Sebastian Hammelehle
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