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I N T E R V I E W Schily empfiehlt Methode Schwejk

■ Der Grünen–Abgeordnete Schily erläutert seine Kritik am Aufruf der Grünen–Bundestagsabgeordneten im Parlament zum Volkszählungsboykott / „Parlamentarier sind zunächst einmal in die Frage der Mehrheit und Minderheit angebunden“

taz: Einem Interview im Saarländischen Rundfunk zufolge widerspricht der Aufruf zum Volkszählungsboykott der Grünen im Parlament deinem Demokratieverständnis? Otto Schily: Es geht um das Problem, wie wir uns zu Mehrheitsentscheidungen verhalten. Ich bin für eine Politik, die sich in der Demokratie ansiedelt, die sich auch anheischig macht, auf dem Wege zur Mehrheit zu sein, die neue Mehrheiten in den staatlichen Institutionen, vor allem im Parlament, herbeiführen will und die natürlich auch der dann zu erwartenden Minderheit abverlangen wird, daß sie dann die Mehrheitsentscheidungen respektiert. Es ist doch ein Problem innergrüner Auseinandersetzung, daß deine Intervention via Rundfunk und nicht massiv bei der entsprechenden Fraktionssitzung kam, auf der der Aufruf zum Boykott beschlossen wurde? Meine Äußerungen im Saarländischen Rundfunk waren sehr vorsichtig. Ich habe dort gesagt, daß ich etwas reserviert sei in der Frage ob wir als Parlamentarier zu einem Volkszählungsboykott aufrufen sollten. Wirst Du dich denn zählen lassen? Darauf verweigere ich die Aussage. Ich empfinde es als eine absolute Belästigung, wenn man mir abverlangt, ich solle angeben, wieviel Zimmer meine Wohnung hat. Ich habe große Sympathien für Schwejk und die Marx–Brothers. Ich bin ja für den Marxismus der Marx–Brothers. Ist deine Intervention auch eine Kritik an der Volkszählungsboykott–Bewegung? Nein, überhaupt nicht. Daß in der Gesellschaft Unruhe entsteht und die Leute sagen, nein, da mache ich nicht mit, dafür habe ich Verständnis. Das ist aber eine ganz andere Frage. Ich glaube, wir müssen sehr genau darauf achten, daß wir als Parlamentarier zunächst einmal in die Frage der Mehrheit und Minderheit eingebunden sind. Ich will damit nicht sagen, daß ich eine privilegierte Stellung der Parlamentarier dafür beanspruchen will. Die müssen sich ja daran orientieren, was in der Gesellschaft an Ideen und Vorstellungen vorhanden ist. Ich habe manchmal die Grünen im kritischen Visier, daß sie sich manchmal zum Praeceptor Germaniae Igitt! die k. machen wollen und dann sagen, wir wissen immer genau, was richtig und was falsch ist, egal wie die Mehrheiten sind, wir bestimmen, was richtig und falsch ist. Das ist ein etwas ungutes Erbe aus der Linken Bewegung, die nie die Hoffnung, Erwartung oder auch den Ergeiz hatte, endlich mal aus ihrem Minderheits Partei absolut unerträglich, wenn sie sich wie eine Kriche gebärdet, die Dogmen und Doktrinen verkündet und keine Kritik und keinen Widerspruch und keine Mehrheitsentscheidungen mehr zuläßt. Das Gespräch führte Max Thomas Mehr

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