: I N T E R V I E W „Gemeine Erpressung“
■ Interview mit Isabelle Thomas, 24 Jahre, Sprecherin der nationalen Streikkoordination
Ihre Freunde sagen, Sie sind im Studium arbeitseifrig. Jetzt stehen Sie an der Spitze eines Generalstreiks der Universitäten. Isabelle Thomas: Sie machen aus mir eine Wortführerin. Ich bin für diese Rolle nicht vorbestimmt. Stört Sie das? Nein, wir müssen das durchziehen. Ansonsten sehe ich keinen Widerspruch darin, daß man einerseits zuverlässig ist und andererseits streikt. Wir nehmen Verantwortung wahr. Waren Sie schon in einer ähnlichen Situation? Nein, das ist das erste Mal. Zuvor habe ich bei „sos–racisme“ mitgearbeitet. Ich bin Mitglied der UNEF–ID (wichtigster französischer Studentenverband, den Sozialisten nahestehend, d.R.). Die Organisation hat hat den Kontakt mit den anderen Unis ermöglicht. Wo stehen Sie politisch? Ich bin links und sozialistisch. Haben Sie Angst, politisch vereinnahmt zu werden? So sagt es Erziehungsminister Monory, aber wir verteidigen unsere Diplome und Qualifikationen unabhängig von unseren politischen Ideen. Über den Streik wurde Vollversammlung für Vollversammlung abgestimmt. In Villetaneuse begann der Streik. Wie kam es zur Explosion? Wenn es bei uns losging, dann sicher, weil es eine Vorstadt–Uni ist. Hier kommen die Studenten nicht aus sozial gehobenen Schichten. Alle müssen jobben, um ihre Bücher und die Miete zu bezahlen. Schon die Einschreibegebühr von 150,– DM verlangt viel, die Sozialversicherung ist da noch nicht mit drin. Eine Erhöhung der Gebühr auf 300 oder 600 DM erscheint so besonders ungerecht. Das gleiche gilt für die Diplome. Wir arbeiten hart und betreiben die gleichen Studien wie die anderen. Wir wollen nicht, daß man unsere Arbeit zunichte macht, nur weil unsere Uni keinen großen Namen hat. Wo bleibt da die Chancengleichheit? Die Auswahl soll nach dem Geld und der sozialen Herkunft geschehen. Das ist reaktionär. Jetzt aber sind Ihnen auch die Universitäten mit Namen, die Sorbonne zum Beispiel, im Streik gefolgt. Wir waren von zwei Dingen schockiert. Zuerst wird das Prinzip der Gleichheit der Studenten vor den Studien in Frage gestellt. Und dann haben wir es satt, von Reform zu Reform geschaukelt zu werden. Diesmal ohne jede Konsultation. Man behandelt uns wie Kinder. Hochschulminister Devaquet klagt Mißverständnisse ein und will verhandeln. Auch wenn man ihn blau anmalt, bleibt ein Elephant ein Elephant. Wir können juristische Texte lesen und sind nicht blöd, weil wir zwanzig Jahre alt sind. Wenn Herr Devaquet ehrlich ist, dann soll er versprechen, sein Gesetz nicht mit der Vertrauensfrage durchzubringen. Wenn er das Gesetz zurückzieht, dann könnte man vielleicht miteinander reden. Aber wenn nicht: wie soll man mit dem Revolver am Kopf diskutieren? Das ist eine gemeine Erpressung, und wir werden mit einer größeren, härteren Mobilisierung antworten. (Interview aus Le Matin)
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