Hype um digitales Spiel „Minecraft“: Unter Quadratschädeln

„Minecraft“ ist eines der beliebtesten Computerspiele. Es geht darum, eine neue Welt zu bauen – ohne zu gewinnen oder zu verlieren.

Minecraft kann Kinder verändern. Bild: reuters

Ich fühle mich zurück in die 90er versetzt. Heimelige Kindheit mit Tamagotchi, Gameboy und Tetris. Alles um mich herum ist verpixelt, Wörter wie „Vintage“ und „Retro“ schießen mir durch den Kopf.

So geht es mir, weil ich das Computerspiel „Minecraft“ spiele. Da laufe ich durch eine Landschaft, die aus Klötzen gebaut ist. Bäume aus legoähnlichen Bausteinen stehen in der Gegend herum, Schafe aus den gleichen Steinen laufen hin und her. Und die Farben sind auch nur so Pi mal Daumen akkurat: Grün für Blätter, Braun für Holz, Weiß für Schafe. Mein Avatar sieht aus wie eine Legofigur. Simpel, gesichtslos und quadratisch. Das verwirrt mich. Wann ist „Minecraft“ nochmal erschienen? 2011. Also zu einer Zeit, zu der die verpixelte Grafik eine bewusste Entscheidung gewesen sein mus.

Mit über 56 Millionen Kopien ist „Minecraft“ eines der meistverkauften Computerspiele weltweit. 2014 haben US-amerikanische YouTube-Nutzer – wenn man Musiktitel nicht mitzählt – am häufigsten nach dem Begriff „Minecraft“ gesucht. Das liegt vor allem an den Let’s-Play-Videos, in denen sich junge YouTuber beim Spielen filmen und dabei Strategien und Möglichkeiten erklären. Die Abonnentenzahlen von deutschen Let’s-Play-Channels wie „PietSmiet“, „Gronkh“ oder „Unge“ zeigen, dass dieser Trend auch für Deutschland gilt.

Es sind diese Videos, die entscheidend zur Bekannt- und Beliebtheit von „Minecraft“ beigetragen haben. Ein Drittel der Spieler hat erst über sie vom Spiel erfahren. Die regelmäßigen und vor allem jüngeren Spieler nutzen die instruktiven Videos als Zeitvertreib; wie so viele YouTuber werden auch die Let’s Player von den Jugendlichen zu Stars stilisiert. Klar, ihr Beruf ist der wahrgewordene Traum eines jeden Computerspielfans: den ganzen Tag mit Freunden spielen und dabei auch noch Geld verdienen. Der Kanal „PietSmiet“ hat gerade die Eine-Milliarde-Views-Marke geknackt.

Survival-oder Kreativ-Modus?

„Minecraft“ wirkt wie eine Fusion von Lego und „Die Sims“. Man baut, was einem gerade einfällt. Häuser, Schlösser, den Eiffelturm. Richtig geduldige und kreative Spieler haben schon ganze Städte nachgebaut. Man spielt allein oder gemeinsam. Es gibt keine Levels, kein Gewinnen oder Verlieren, und im Multiplayer-Modus wird eher mit- als gegeneinander gespielt. Man schießt nicht wild um sich, wie in anderen Spielen – alles unproblematisch. Idyllisch geradezu.

Ich kann mir aussuchen, ob ich im Survival-Modus oder im Kreativ-Modus spielen möchte. Beim Survival geht es ums Überleben, darum, sich rechtzeitig Nahrung zu suchen und gefährlichen Monstern in der Nacht aus dem Weg zu gehen. Der Kreativ-Modus ist eher etwas für die pazifistische und gemütliche Spielerin – wie mich.

Erst mal ein bisschen rumlaufen, oder fliegen – wie cool ist das denn?! – und mir dann überlegen, was ich eigentlich bauen will. Die Materialien dafür habe ich alle schon. Ich fange mit den Basics an: Erst mal wird ein Haus gebaut. Ich suche mir eine Fläche aus (fliegend!), lasse mich nieder und baue vor mich hin. Die Zeit vergesse ich schnell, das war früher bei den „Sims“ auch so. Fackeln gibt es, einen schicken Teppich auch und überhaupt eine unendliche Welt, die man entdecken kann.

Paradiesisch: grenzenlos

So viele Möglichkeiten dieses Spiel bietet, so einseitig ist die Antwort vieler regulärer Spieler auf die Frage, was genau nun so großen Spaß machen soll. Jeder der etwa 15 befragten Spieler – darunter der 15-jährige Schüler, die 19-jährige Jurastudentin sowie der 30-jährige Anwalt –, alle benutzen das gleiche Schlagwort: Kreativität. Marvin, 15 Jahre alt, drückt es so aus: „Du kannst die gesamte Welt so verändern, wie du willst, die Welt nach deinen Ideen gestalten, mit fast unbegrenzten Möglichkeiten.“

Laut dem 30-jährigen Sebastian Kunz, Rechtsanwalt in Berlin, gab es erst einige wenige Hardcore-Spieler, die an die Grenzen der Welt gestoßen sind. Für Normalsterbliche bleibt sie unendlich. Das trägt zum paradiesischen Eindruck bei, den ich beim ersten Spielen gewinne. Für Sebastian ist das Spiel ein Ausgleich zu seinem Alltag als Anwalt. Er sieht seinen Beruf nicht im Widerspruch mit dem Hobby. Im Gegenteil. „ ’Minecraft‘ hilft beim Entspannen und schafft eine Distanz zum Arbeitstag“, sagt er.

Es beginnt zu regnen, während ich weiterbaue. Irgendwie ist das romantisch. Sonnenaufgang, Regen, ich fliege über die Landschaft – die tragende Musik im Hintergrund kippt das Ganze beinahe ins Alberne. Aber entspannend ist es eben auch.

Qualitätsmerkmal: Indie

Aber was genau macht „Minecraft“ so beliebt? Sebastian erklärt sich den Erfolg des Spiels damit, dass es ein Indie-Game ist, ein unabhängig produziertes Spiel. Zwar wurde es letztes Jahr von Microsoft aufgekauft, doch ist von dem unabhängigen schwedischen Programmierer Markus „Notch“ Persson und dessen Firma Mojang entwickelt worden. Parallelen zum Literaturbetrieb und der Filmindustrie drängen sich da auf – wo „Indie“ als Qualitätsmerkmal gilt, als Siegel für die Liebe zum Detail, und die Unabhängigkeit von ökonomischen Zwängen.

„Der Ansatz von Indie-Games ist oft innovativer und das Spiel ist auch nicht nach 20 Stunden durchgespielt wie die großen Spiele, die dann einen teuren Nachfolger raushauen können“, sagt Sebastian. Auch die Grafik lässt sich durch diese Liebe zum Spiel erklären. Angeblich hat Persson, der Erfinder, am Anfang einfach keine Ressourcen für die Entwicklung einer besseren Grafik gehabt, den Retro-Look aber schnell liebgewonnen. Und die Fans stehen darauf.

Nicht selten stößt diese Art der Freizeitgestaltung auf Misstrauen, denn das Klischee des vereinsamten Computerspiel-Nerds hält sich 2015 noch hartnäckig. Aber mal ehrlich: Wer am Computer sitzt, ist längst nicht mehr einsam. Die Vernetzung der „Minecraft“-Spieler über Social Media spricht zumindest deutlich dagegen. Und so wie mich eine Fernsehserie schon über Wochen hinweg verschluckt hat, birgt ein Spiel nicht unbedingt eine höhere Gefahr der sozialen Abschottung.

In Schweden hat eine Schule „Minecraft“ als Pflichtfach eingeführt – viele Fans des Spiels halten das für eine gute Idee, vor allem als Ergänzung zum Kunstunterricht. Das ist diskussionswürdig – aber zumindest raus aus der Marginalisierung gehört „Minecraft“ allemal. Verpixelt, idyllisch, gemütlich, 90er. Schön.

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