Hungerrevolte auf Haiti: Regierung zunehmend unter Druck
Die gewaltsamen Proteste gegen teure Lebensmittel gehen weiter. Haitis Präsident appelliert an die Bevölkerung, erste Parlamentarier fordern den Rücktritt der Regierung.
PORT-AU-PRINCE ap/afp Auch ein Appell des Präsidenten hat die Unruhen im Karibikstaat Haiti nicht stoppen können. In der Hauptstadt Port-au-Prince zogen am Mittwoch mit Knüppeln und Steinen bewaffnete Banden durch die Straßen, steckten Autoreifen in Brand und errichteten Straßenbarrikaden. Läden und Regierungsbüros wurden geplündert. In den Elendsvierteln und auch in den wohlhabenderen Vorstädten waren Schüsse zu hören. Jetzt werden erste Stimmen laut, die den Rücktritt von Ministerpräsident Jacques-Edouard Alexis fordern.
Die Unruhen, die ihren Anfang in Protesten gegen hohe Lebensmittelpreise nahmen, ebbten am Mittwoch Abend (Ortszeit) ab. Die Geschäfte blieben geschlossen, aber die Banden verschwanden von den Straßen. Zuvor hatten Polizisten und etwa 9.000 UN-Blauhelmsoldaten vergeblich versucht, die Situation in den Griff zu bekommen. Die Unruhen erstreckten sich auf das ganze Land. In der nördlichen Stadt Cap-Haitien versuchten Banden, Lebensmittel aus einem Lager des Welternährungsprogramm (WFP) zu stehlen, wie eine Sprecherin der Blauhelme erklärte.
Präsident René Préval meldete sich erstmals seit Beginn der Unruhen in der vergangenen Woche öffentlich zu Wort: "Die Lösung liegt nicht darin, herumzulaufen und Läden zu zerstören", sagte er. "Ich gebe Euch den Befehl damit aufzuhören." Er versprach, die Lebensmittelimporteure zu einer Senkung der Preise zu drängen.
Mehrere Parlamentarier des Karibikstaats forderten derweil Ministerpräsident Jacques-Edouard Alexis am Mittwoch (Ortszeit) zum Rücktritt auf. Angesichts der Krise seien neben kurz- und langfristigen wirtschaftlichen Maßnahmen auch "mutige politische Entscheidungen" nötig, sagte Parlamentspräsident Kelly Bastien in Port-au-Prince. Der Regierungschef müsse zurücktreten, "damit die Demonstrationen und Plünderungen aufhören, die die Investitionen hemmen", forderte Senator Hyppolite Melius. Senator Andris Riche sagte, in einem Schreiben sei Alexis ein Rücktritt "in den nächsten 48 Stunden" nahegelegt worden. Dabei habe es sich um einen Rat, nicht um ein Ultimatum gehandelt. Riche zufolge unterstützt ein Großteil der Senatoren den Appell.
Die weltweit gestiegenen Lebensmittelpreise treffen Haiti besonders hart, wo 80 Prozent der Bevölkerung mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen muss. Die Preise für Reis, Bohnen, Früchte und Kondensmilch sind seit dem vergangenen Jahr um 50 Prozent gestiegen. Nudeln kosten sogar doppelt so viel. Seit Beginn der Proteste vergangene Woche kamen fünf Menschen ums Leben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!