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Hundstage

■ Von der Pinnwand der taz-KorrespondentInnen

Paris trägt Shorts. Rennt, rast, krakeelt, hupt, hastet nicht mehr, sondern läßt sich gehen. Wer's eilig hatte in der Stadt, liegt jetzt am Strand in Korsika, und die Touristen flanieren in patentgefaltetem Tempo. Über allen Dächern ist Ruh - und in den Boulangerien hängen Schilder: „Machen Ferien bis zum 3.September“. Die Betriebe haben freigegeben, das Sozialprodukt tuckert auf Mindestdrehzahl wie ein alter Diesel. Im August ist Paris eine Hauptstadt mit menschlichem Antlitz.

Auf dem Schreibtisch des Korrespondenten, jenem getreuen Abbild der allgemeinen Nachrichtenlage, hat sich die Situation vollkommener Entropie angenähert. Nur äußerst wichtige Ankündigungen gelangen noch in die Büros, etwa jener lila Brief („sehr wichtig - eventuell nachsenden“) aus Neuilly-Sablons: „Der Ayatara der Synthese, der kosmo -planetarische Messias, von allen Völkern, allen vereinigten Religionen und Traditionen erwartet, wird sich der ganzen Welt am 22. August 1990 offenbaren. Es besteht gar kein Zweifel über Seine Echtheit, denn Er wird die unwiderlegbaren Beweise Seiner Identität und Seiner Mission offenbaren. Eine Pressekonferenz wird der Offenbarung folgen...“ Also vormerken: „Messias am 22.8.“

Ansonsten das Übliche. Einladungen zum 11.Internationalen Wettbewerb für Erfinder neuer Gesellschaftsspiele in Billancourt und zur Sommer-Uni der Sozialisten in Saint Tropez, 750 Gramm Info-Material des Verbandes der Asbesthersteller, die neuste Nummer der kommunalen Mitteilungen der Stadt Arles... Große Politik und große Gesten erst wieder im September. Das Pariser Polittheater hat Sommerpause.

In den Rinnsteinen vorm Büro fließt munter ein Bächlein, einem Hydranten entsprungen und von einem schwarzen Mann in grüner Uniform mittels eines komplexen Systems von Stoffwulsten in Bahnen gelenkt, die der Sauberkeit der Stadt dienen sollen. Plätschernde Kühle in den heißen Boulevards. Je steiler die Straße, desto reißender werden die Rinnsteine, am Butte Montmartre wird sogar der Rest einer toten Taube weggespült. Beeindruckend. Das Wasser der Stadtreinigung kommt vom Fluß Ourcq im Nordosten, über einen Kanal, den Bonaparte bauen ließ. Zum Trinken war das Wasser schon bei der Fertigstellung zu dreckig, weshalb die Untertanen auch schon bald an Cholera verreckten. Die Parks und Fontänen dagegen werden mit Trinkwasser gespeist. Etwa die Wasserspiele vor dem ethnologischen „Museum des Menschen“ in Chaillot, gleich gegenüber dem Tour Eiffel, wo sich Banlieue-Mamis samt Nachwuchs die Hundstage vertreiben. Rollerskater aus dem Senegal kreisen da durch Cola-Dosen -Parcours, Touristen aus Bielefeld leisten sich mal ein Sandwich, maghrebinische Machos auf der Jagd nach blonden Interrailerinnen, zwei Rucksackträger aus Prag. Ein nasses Kind heult, auch Schwarze benutzen Sonnencreme, und eine Japanerin hält einen Sonnenschirm. Es ist August, gibt nichts zu berichten, es ist zu heiß, nichts los - Paris trägt Shorts.

P.S. Unsere französische Schwesterzeitung 'Politis‘, mit der sich die taz-Paris drei Jahre lang Büro und täglich Brot geteilt hat, wird wohl nicht mehr aus der Sommerstarre erwachen: Vergangene Woche mußten die Kolleginnen und Kollegen Konkurs anmelden. Adieu, Politis! Et merci...

Alexander Smoltczyk

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