Hundertschaft gegen Musikanlage: Übergriffe von Kölner Polizei
Im Karneval kam es vor einer linken Szenekneipe in Köln zu Übergriffen der Polizei. Die Situation eskalierte, Polizei und Gäste schieben sich jetzt gegenseitig die Schuld in die Schuhe.
KÖLN taz Jecken aller Länder wollten auch in diesem Jahr in Kölns linker Szenekneipe Q-Hof zusammen feiern. So jedenfalls hatten es die Mitglieder der antirassistischen Initiative "Kein Mensch ist illegal" geplant. Aber es kam anders: Statt einer friedlichen Feier kam es zu handfesten Übergriffen der Polizei.
In der Nacht auf Rosenmontag gegen vier Uhr fuhr eine sogenannte Lärmstreife von Polizei und Ordnungsamt vor - wegen Ruhestörung. Verantwortliche der Initiative verhandelten mit den Beamten. "Wir hatten uns schon geeinigt", erzählt eine von ihnen. Während des Gesprächs hätten sich zwei Jecken an den abgestellten Streifenwagen gelehnt. Daraufhin sei ein junger Polizist sehr wütend geworden und habe nach kurzem Streit den beiden Handschellen angelegt. Die Version der Polizei klingt anders: Ein alkoholisierter Mann habe versucht, "die Beamten an weiteren Einsatzmaßnahmen zu hindern und den Streifenwagen zu beschädigen", sagt ein Sprecher. Außerdem habe er "einem Beamten mit der Faust gegen die Brust geschlagen."
Danach eskalierte die Situation vor der Kneipe. Immer mehr Gäste kamen hinzu und stellten sich singend, tanzend und protestierend den Polizeiwagen in den Weg. Dabei kam es zu zwei weiteren "willkürlichen Festnahmen", so die Veranstalter. Eine Flasche wurde geworfen und verletzte eine Polizeibeamtin. Die Beamten sprachen einen Platzverweis aus und drängten laut Augenzeugen die Protestierenden mit lauten Beschimpfungen, Stößen und mit zwei Hunden auf einen nahen Platz ab. Nach einer Stunde war die Feier beendet. "Alle Versuche der Veranstalter, mit den Beamten Gespräche zu führen und die Situation zu entspannen, scheiterten an der Inkompetenz der Einsatzleitung", resümiert die Flüchtlingsinitiative in einer Erklärung. Die Polizei ermittelt jetzt wegen Landfriedensbruchs, Widerstands, Gefangenenbefreiung und gefährlicher Körperverletzung.
Auch später ging die Polizei mit ungewöhnlicher Härte vor: Fünf Personen kamen in Gewahrsam. Einer der Festgenommenen berichtet, man habe ihm auf der Wache im Polizeipräsidium Köln zunächst die Brille abgenommen. "Das war sehr demütigend," sagt er. Dann habe man ihn einer Leibesvisitation unterzogen. "Dabei musste ich mich entkleiden und meine Unterhose bis über die Knie herunterziehen." Er sei mit Handschellen - und nach wie vor unbekleidet - in die Zelle gesperrt worden. Dort habe er weiter laut protestiert, und Polizisten hätten ihm dann noch Fußfesseln angelegt.
Die Polizei rechtfertig dieses Vorgehen. Eine Leibesvisitation sei erlaubt, "um zu verhindern, dass sich einer mit einem Gegenstand selbst verletzt oder Polizeibeamte angreift".
Am nächsten Abend, dem des Rosenmontags, ging die Polizei wieder gegen die Szenekneipe Q-Hof vor. Eine Hundertschaft behelmter Polizisten postierte sich gegen 1 Uhr vor der Karnevalskneipe. Die Beamten verlangten die Herausgabe der Musikanlage, andernfalls werde der vollbesetzte Raum gestürmt. Besonnene Veranstalter verschlossen die Tür und gaben die Anlage durch einen Nebeneingang heraus. Der Einsatz der Polizei war "völlig überzogen", erklärt Iris Biesewinkel von "Kein Mensch ist illegal". Die in der Initiative tätige Pfarrerin Eva Schaaf fügt hinzu: "Seit über zehn Jahren feiern engagierte Jecke einen Fasteleer, bei dem es noch nie zu Gewalt gekommen ist. Das werden wir uns nicht nehmen lassen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen