„Hundekot-Attacke“ am Theaterhaus Jena: Wer hat Schiss vorm Kritiker?

Pseudodokumentarisches Stück am Theaterhaus Jena: „Die Hundekot-Attacke“ verspottet die Sensationsgier von Dramaturgie, Kritik und Publikum.

Ein weißgekleideter Mensch schmiert mit schwarzer Farbe auf weißem Untergrund herum

Auf echte (Hunde-)Exkremente wurde am Theater Jena zum Glück verzichtet Foto: Joachim Dette

Stimmt es, was Leon Pfannenmüller sagt, wird er diese Kritik nie lesen. Der Schauspieler möchte sich schützen. Denn Kritiken können Künstlerseelen beschädigen. So auch die Pfannenmüllers: Als er 2013 in München seine erste Hauptrolle spielte, wurde er von der Kritik verrissen. Für „Die Hundekot-Attacke“ hat er die Rezensionen wieder ausgepackt und sogar seinen Peiniger vom Münchner Merkur eingeladen, um die verletzenden Passagen vorzulesen.

Am Freitag feierte „Die Hundekot-Attacke“ in Jena Pre­miere, eine auf wahren Begebenheiten basierende Stückentwicklung für sechs Personen und einen Dackel. Regie führte Walter Bart vom niederländischen Kollektiv Wunderbaum, das bis 2022 das experimentierfreudige Theaterhaus leitete.

Der aufsehenerregende Aufhänger ist der Übergriff eines renommierten Choreografen, der einer FAZ-Kritikerin Anfang dieses Jahres im Foyer der Staatsoper Hannover vor lauter Kränkung den Kot seines Köters ins Gesicht schmierte.

Anders als bei der abject art eines Günter Brus, der in den Hörsaal kackte, oder eines Piero Manzoni, der seine Künstlerscheiße in Dosen abpackte und zum Goldpreis verkaufte, war das beileibe kein Kunstgriff. Und auch in Jena greift niemand explizit nach Exkrementen. Die Kacke-Attacke ist hier nur der Lockstoff für eine erstaunlich glaubwürdige Stückentwicklung im Stück. Eine Art mise en abyme, die die gescheiterten Proben zur geplanten Inszenierung auf die Bühne spiegelt.

Eher prozess- als ergebnisorientiert

Alle Erwartungen werden lustvoll unterlaufen: Zunächst werden E-Mails vorgelesen, auf der kollektiven Suche nach einem Abschiedsstück. Wie eine Leseprobe wirkt die schlichte Inszenierung: eher prozess- als ergebnisorientiert. Zwischendurch Urlaubsfotos aus den Theaterferien, inklusive Strandleiber und Kinderpopos. Dann wieder das Verlesen von Mails. Schauspielerin Pina an Anna: „Trau dich doch auch mal, einen Fehler zu machen, dazu sind die Proben da.“

Ausgestellt wird ein Prozess, der Ängste auslöst, Konflikte im Ensemble zutage bringt und Machtstrukturen sichtbar macht. Zur Premiere kommt schließlich eine vermeintliche Notlösung, die mit den Grenzen spielt zwischen Rolle und SpielerIn, zwischen Fakt und Fiktion.

„Die Hundekot-Attacke“: Wieder am 25. und 30. November im Theaterhaus Jena

Das Bühnenkollektiv streitet, ob es möglich sei, den Angriff nicht zu reproduzieren noch auf Kosten der Betroffenen auszu­schlachten und zugleich selbst kulturelles Kapital daraus zu schlagen, sprich: die fäkale Sensationslust mancher Chefdramaturgen und Kritikerinnen produktiv um­zulenken.

Höchste Zeit, wenn Intendantinnen die Kritik als „Scheiße am Ärmel der Kunst“ bezeichnen und die Feuilletons ihre Kolumnen über die Verrohung im Umgang von Kultur und Kritik ausschließlich mit dem lässig mit Sonnenbrille in Foyers stehenden Choreografen bebildern. Diesen Geniekult, der mit Faszination auf Täter blickt, kritisiert man hier.

Wie es so ist, wenn das Theater sich selbst in den Blick nimmt, steht bald alles auf dem Spiel. Die eine wollte dem misogynen Übergriff eines „eingesessenen Vollidioten“ sowieso keine Aufmerksamkeit schenken. Die nächste meldet sich wegen lukrativer „Tatort“-Dreharbeiten ab. Ein Dritter sucht um jeden Preis den Bezug zum Lokalen. Letztlich geht es um Machtstrukturen und deren Missbrauch, beides universell problematisch, gewiss auch an einem kollektiv geleiteten Theater wie Jena.

Kot-Wort als Köder

Kurz vor der inszenierten Premiere stellt eine Spielerin ihre Kol­le­gInnen vor die Wahl: „Entweder weiter Theater machen oder wir gehen raus in die Welt […] und erschaffen eine reale Utopie anstelle von zynischem Realismus.“ Diese Meta-Inszenierung macht zum Glück beides.

Sie überwindet die Wirklichkeit mit einfachsten Theatermitteln: mit dem Ausstellen von Inszenierungsvorgängen, mit Action-Body-Painting und herben Seitenhieben: „Der Regisseur saß betrunken mit einer Bierflasche im Parkett, hat uns angebrüllt und wie Marionetten stundenlang durch ein kaltes Wasserbecken schlittern lassen, weil er keine Ideen mehr hatte.“ Indem diese düsteren Zustände in den Theatern ausführlich reflektiert werden, spiegeln sich die Zustände der Welt auf der oft so moralinsauren Bühne.

Ausgerechnet mit einer Inszenierung, die die Mechanismen des skandalfreudigen Theater- und Kritikbetriebs auf die Schippe nimmt, hat das Ensemble dank des Kot-Wortes als Köder die Aufmerksamkeit, die es verdient. Allen voran Nikita Buldyrski, der das diskurslastige Leseproben-Setting plötzlich mit einem Deutschrap-Part auflöst, auf den auch Kool Savas stolz wäre.

Ein kathartisches Hohelied auf die theatertreue Lokalredaktion der Ostthüringer Zeitung, auf das Jenaer Publikum und letztlich auch auf die Arbeit des Theaterhauses selbst. Was kann der Kritiker noch schreiben, wenn die zu Rezensierenden ihm das Lob vorwegnehmen? Der Auftritt des Dackels wurde aus Tierschutzgründen übrigens nicht genehmigt: Der Kritiker verlässt das Theaterhaus unversehrt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.