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Humanitäres Persil

Über Ausländer in Sarajevo  ■ Von Semezdin Mehmedinović

Als in Sarajevo die Ausstellung mit Fotografien von Annie Leibowitz eröffnet wurde, kamen viele Gäste. Um die Bilder zu sehen, die die renommierte amerikanische Künstlerin anläßlich ihres Besuches in der Stadt gemacht hatte. Eröffnet wurde die Sammlung von der ebenfalls amerikanischen Schriftstellerin Susan Sontag. Aus diesem Anlaß gab es beachtliche Mengen Dosenbier und Coca- Cola.

Ausländer haben, wenn sie nach Sarajevo kommen, Gründe, die mehr oder minder amoralisch sind – wenn auch ihre Gründe weniger wichtig sind als die Apathie, mit der wir ihren Aufenthalt bei uns betrachten: Ausländer werden hier in dem Maße wahrgenommen, wie sie sich selbst ins Spiel bringen. Für die große Welt ist Sarajevo lediglich als Kriegsschauplatz interessant. In diesem Sinne befindet sich „das Ereignis“ Sarajevo etwa auf derselben Ebene wie die Coca-Cola-Werbung.

Die Einwohner Sarajevos spüren das unbewußt und sind deshalb mürrisch gegenüber allen Ausländern, die nur um ihrer selbst willen hierherkommen und nicht wegen uns, wie wir es uns wünschten. CNN ist hier wegen Amerika, nicht wegen Bosnien.

Und wenn wir uns damit abfinden, dann bleibt uns nur noch zu sehen, welchen echten Nutzen wir von diesen Ausländern haben können. Wir in Sarajevo wollen, daß die Welt Gewissensbisse hat wegen unseres Unglücks. Wir möchten, daß die Welt etwas für uns tut. Dabei bekommen wir ständig bestätigt, daß die Intellektuellen des Westens nach Formen suchen, das unreine Gewissen Europas und Amerikas reinzuwaschen. Ein heller Kopf sagte, daß es weder genügend humanitäres Waschpulver noch Seife für ein derartiges Unterfangen gebe.

Allerdings, wenn die Welt sich ausschließlich für die Reklame des Krieges interessiert, dann sollte man ihr dabei helfen. Man sollte eine möglichst große Zahl von berühmten Ausländern nach Sarajevo einladen und sie fotografieren. Nicht etwa, weil diese Leute etwa großen Einfluß hätten – denn den haben sie nicht. Auch nicht deshalb, weil sie den Verlauf des Krieges beeinflussen könnten – denn auch das können sie objektiv nicht.

Folglich ist es sehr wichtig, daß in Sarajevo die Ausstellung der Annie Leibowitz eröffnet wurde. Weniger wichtig ist, daß das Renommee der Künstlerin durch diese Fotos leidet, daß die Fotografien ohne authentisches Gefühl sind, daß sie künstlerisch ungenau und steril sind. Denn sie verdeutlichen keineswegs den echten Geist von Sarajevo im Krieg: Sie schwanken zwischen Life- und Modefotografien. Als solche sind sie nur ein Beleg dafür, daß Annie Leibowitz hier war.

Der Krieg in Sarajevo erinnert an den Kampf von Pittbull-Terriern; die Härte hat die Künstlerin nicht gespürt. Aber das ist ja nicht von Belang. Wichtig ist, daß in unserer Stadt die Ausstellung von Annie Leibowitz, der bekanntesten amerikanischen Fotografin, eröffnet wurde.

Berühmte Ausländer werden mit ihrem Kommen nach Sarajevo zur Schaffung jenes Kulturmodells beitragen, das auf der einen Seite den kosmopolitschen Geist der Stadt bewahren wird. Auf der anderen Seite wird dieses Modell von den geistigen und materiellen Bedürfnissen des Individuums bestimmt. Mit den Ausländern kommen Coca-Cola und all das, was noch dazu gehört. Bald zwei Jahre lang haben wir vergeblich gehofft, daß auch nur irgend jemandem die Wahrheit über Sarajevo etwas bedeuten würde. Das Bild von Sarajevo kann auch Reklamefoto für Parfüm sein, obwohl auf der Hand liegt, daß es hier um einen Kreuzzug geht. Und auch das ist Teil des Spektakels.

Aus dem Serbokroatischen von Angela Richter

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