Humanitäre Krise: Ein Drittel der Iraker braucht Hilfe
Ein Bericht von Hilfsorganisationen verweist darauf, dass die Gewalt von der humanitären Krise weiter Bevölkerungsteile ablenkt. Acht Millionen Iraker sind bedürftig.
Ein Drittel der irakischen Bevölkerung ist dringend auf humanitäre Notfallhilfe angewiesen. Das geht aus einem Bericht hervor, den die britische Hilfsorganisation Oxfam gemeinsam mit einem Dachverband internationaler und irakischer regierungsunabhängiger Organisationen (NCCI) am Montag in London und Amman vorgestellte. In absoluten Zahlen fehlt es rund 8 Millionen der 26,5 Millionen Einwohner des Landes an Nahrungsmitteln, sauberem Trinkwasser, sanitären Einrichtungen oder einer Unterkunft.
Im Einzelnen geht es um über zwei Millionen Auslandsflüchtlinge, über zwei Millionen Inlandsflüchtlinge sowie vier Millionen weitere Bedürftige. Der 40-seitige Bericht konzentriert sich auf die Probleme im Innern des Irak. Während die Gewalt und der fehlende Schutz grundlegender Menschenrechte die größten Probleme darstellten, müsste der verdeckten "humanitären Krise" mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, heißt es in dem Bericht. Demnach verfügen insgesamt rund 70 Prozent der Iraker über keine adäquate Wasserversorgung - vor dem Krieg 2003 waren es 50 Prozent - , und 80 Prozent haben keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen. Rund vier Millionen Menschen hätten nicht die Mittel, regelmäßig zu essen. Kinder seien am härtesten vom sinkenden Lebensstandard betroffen. Die Unterernährung von Kindern sei von 19 Prozent vor dem Krieg auf heute 28 Prozent angestiegen. Erschwerend komme hinzu, dass schätzungsweise 40 Prozent der Führungskräfte und Experten das Land verlassen hätten.
Die Autoren des Berichts appellieren an die internationale Gemeinschaft und die irakische Regierung, den "täglichen Überlebenskampf" der Bevölkerung stärker zu unterstützen. An die Adresse der Regierung in Bagdad gerichtet heißt es unter anderem, sie solle das System der Vergabe von Nahrungsmittelration an Bedürftige ausweiten. Von den vier Millionen Mangelernährten würden nur 60 Prozent davon profitieren, 2004 waren es noch 96 Prozent. Außerdem wird die Regierung aufgefordert, befristete Lebensmittelkarten an die Inlandsflüchtlinge auszugeben und die Hilfsprogramme zu dezentralisieren.
Ein Teil der in dem Bericht der Hilfsorganisationen angesprochenen Probleme betrifft den schleppenden Wiederaufbau des Landes. Nach einem ebenfalls am Montag in Washington vorgestellten Bericht des US-Sondergeneralinspekteurs Stuart W. Bowen heißt es, dass die Übertragung der Verantwortung für die Wiederaufbauprojekte an die irakische Regierung nicht funktioniere, obwohl diese mittlerweile überwiegend selbst für die Verwaltung der entsprechenden Gelder zuständig sei. Dies zwinge die USA, erfolgreich abgeschlossene Projekte, etwa im Bereich der Stromversorgung, an Iraker vor Ort zu übergeben, die oft nicht genügend ausgebildet seien, um die Projekte am Laufen zu halten - oder selbst weitere Gelder zu investieren. Dem Bericht zufolge wurden von den 2.797 abgeschlossenen Projekten 435 von der irakischen Regierung akzeptiert und übernommen, und 1.141 an lokale Behörden übergeben. Der vom US-Kongress eingesetzte Prüfer untersuchte in seinem Bericht, wie die Finanzhilfen der USA in Höhe von 44 Milliarden Dollar seit 2003 im Irak verwendet wurden.
Bowen macht die derzeitige irakische Regierung und insbesondere Finanzminister Bayan Jabr für die Probleme verantwortlich. Doch Rick Barton vom Center for Strategic and International Studien sagte gegenüber der Washington Post, dass das mangelnde Interesse der irakischen Regierung an der Übernahme von Projekten wieder einmal zeige, dass sie nicht genügend in die Planung eingebunden werde. "Das bestätigt mehr oder weniger, dass man eine vorherige Übereinkunft über die Projekte braucht, die man realisieren möchte. Sonst landet man am Ende bei dieser Art von Problemen, weil die Leute nicht genug über die Projekte wissen."
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