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Humanitäre Katastrophe in SyrienHoms zerfällt

In der syrischen Protesthochburg Homs herrschen katastrophale Zustände. Es sollen wieder mehr als 100 Menschen beim Einsatz des Militärs gegen Gegner von Assad getötet worden sein.

Zerstörungen in Homs. Bild: dapd

DAMASKUS/BERLIN dpa | In der syrischen Protesthochburg Homs bahnt sich nach sechstägigem Dauerbeschuss eine humanitäre Katastrophe an. Der Nachrichtensender Al-Arabija meldete unter Berufung auf Regimegegner, landesweit seien am Donnerstag mindestens 126 Menschen von den Regierungstruppen getötet worden, allein 107 in Homs. Aktivisten baten um Hilfe vom Roten Kreuz und vom Roten Halbmond.

Die Stadt ist umzingelt; Armeeposten kontrollieren alle Zugangsstraßen. Seit zehn Tagen konnten keine Lebensmittel mehr in die Stadt geliefert werden. Essen und Medikamente werden knapp. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt gehen auch die Heizölvorräte zur Neige. In ganz Homs gibt es nach Angaben von Aktivisten nur noch drei Ärzte, einer wurde durch Granatenbeschuss verletzt.

US-Präsident Barack Obama sagte nach einem Treffen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti am Donnerstag in Washington, beide Länder hätten großes Interesse daran, das "abscheuliche Blutvergießen" in Syrien zu beenden. Die USA und Italien seien sich einig, die jetzige Regierung in Damaskus, die "ihr Volk angreift", müsse ersetzt werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich zutiefst betroffen über Syriens Präsident Baschar al-Assad. "Die Bilder und Berichte aus Syrien wühlen mich genauso auf wie wahrscheinlich die meisten Bürger", sagte Merkel der Passauer Neue Presse. Um das Blutvergießen in Syrien zu stoppen, macht sich Merkel gemeinsam mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy für die Gründung einer Kontaktgruppe stark.

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) bezeichnet die Lage von Verletzten und Kranken in Syrien als katastrophal. Ärzte und Patienten mit Schussverletzungen müssten damit rechnen, in der Klinik verhaftet zu werden, sagte die MSF-Präsidentin Marie-Pierre Allié der Nachrichtenagentur dpa in Paris. "Weil die Leute aus Angst nicht mehr in Krankenhäuser gehen, haben die Mediziner und Pfleger ein Parallelsystem aufgebaut." Patienten würden nun in Untergrund-Kliniken behandelt - allerdings unter prekären Umständen.

Einschüchterung in Deutschland

Exilsyrer berichten auch in Deutschland, wo mehr als 32.000 Menschen mit syrischem Pass leben, von Einschüchterungsversuchen. Westerwelle sagte, die Bundesregierung könne "in keiner Weise tolerieren, wenn für den syrischen Staat Tätige in Deutschland einen direkten oder indirekten Beitrag dazu leisten, die syrische Opposition unter Druck zu setzen".

"Die Ausweisung der Diplomaten ist ein positives Signal", sagte Abdelhamid al Jasem, der Vorsitzende des Deutsch-Syrischen Vereins zur Förderung der Freiheiten und Menschenrechte. "Einige Syrer sind inzwischen so eingeschüchtert, dass sie sich nicht mehr trauen, an Demonstrationen teilzunehmen." Regimegegner seien von syrischen Agenten oder von Anhängern der mit Assad verbündeten libanesischen Schiitenbewegung Hisbollah bedroht worden.

Wegen Spitzel- und Drangsalierungsvorwürfen sitzen bereits zwei Mitarbeiter der Botschaft in Untersuchungshaft. Sie haben keinen Diplomatenstatus. Zudem wird gegen sechs Verdächtige ermittelt. Libyen weist sogar alle Mitarbeiter der syrischen Botschaft in Tripolis aus.

Nach fast elf Monaten der Gewalt mit 6.000 Toten prüfen die Vereinten Nationen die Entsendung von Beobachtern und eines Sondergesandten nach Syrien. "Wir erwägen eine gemeinsame Mission mit der Arabischen Liga", sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nach einer Tagung des Sicherheitsrates in New York. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, sprach von wahllosen Attacken auf Wohngebiete, von einem Massaker an der eigenen Bevölkerung.

Der Führungsstab des Syrischen Nationalrats beriet im Golfemirat Katar, wie das Blutvergießen gestoppt werden könnte. Der Rat setzt inzwischen stärker auf militärische Optionen. Unter anderem wird über Waffenlieferungen an Deserteure diskutiert. Unter arabischen Diplomaten wird erwogen, den von mehreren Oppositionsgruppen gegründeten Nationalrat als legitime Vertretung des syrischen Volkes anzuerkennen.

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14 Kommentare

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  • P
    PresseWolf

    Guten Morgen, bitte Aufwachen! Es gibt keine Sowjetunion mehr. Es gibt auch diese erzwungene Bruderschaft nicht mehr! Außer offensichtlich in manchen Köpfen. Fangt bitte an Euch verschiedene Informationen aus verschiedenen Quellen anzuschauen und zu hören, sie nüchtern und neutral zu bewerten. Fangt endlich an logisch zu denken, nicht ideologisch! Vor allem nicht auf dem Rücken Tausender Toter und deren Angehörigen! Und gleichzeitig werden Syrer aus Deutschland ausgewiesen und Presse bei der Berichterstattung behindert. Das ist sehr zynisch und weltfremd. Außer einigen Waffenlieferanten und einigen irren Extremisten hat niemand ein ernstes Interesse an einem Konflikt so dicht an hochsensiblen Konfliktregionen, Iran, Irak, Kurdengebiete, Türkei, Libanon, Israel. Die angrenzenden Staaten wollen mit höchster Wahrscheinlichkeit Ruhe und Stabilität, einige ein Ende des Abschlachtens, aber sicher nicht noch einen Krieg. Europa und die USA haben beide finanzielle Probleme. In Syrien gibt es auch nicht viel "zu holen" (kaum Öl, kaum Mineralien), aber viel zu beweisen (Solidarität). Augenmaß statt ideologischer Scheuklappen ist gefragt. Humanitäre Hilfe, intelligente Diplomatie ist gefragt. Leicht wird es nicht, die Fronten dort sind verhärtet und immerhin beziehen wir zB Waren aus China und Gas aus Russland … die Konsequenzen unserer Gier nach billigen Waren und satten Profiten ...

  • S
    schankee

    wow, die syrische regierung massakriert ihre eigene bevölkerung und hier wird gegen nato, israel und usa geschrieben. unglaublich... und sehr beschämend! ich hoffe niemand der von den gräueltaten betroffen ist muss das hier lesen

  • M
    manfred (60)

    @ Marcus

     

    Die Verbindung mit Israel bezieht sich nicht auf die Rebellen, sondern auf das Verhalten des Westens und die militärische Option.

  • JO
    Jürgen Orlok

    Wo waren denn die mitfühlenden Berichte, als Sirte von NATO&Co in einem VernichtungsKrieg zerstört wurde, der Gaddafi vorgeworfen wurde, den er aber beweisbar niemals führte ?

    Dagegen ist Homs eine ganz normale Angelegenheit, wenn eine Regierung gegen brutalste Massenmörder vorgeht, die sich in zivilen Gebieten aufhalten und auch Zivilisten als Geiseln nehmen.

    Die Belagerung Homs dauert auch bisher viel kürzer als die von Sirte.

    Vielleicht haben ja noch einige die Bilder aus Sirte der Tagesschau etc in Erinnerung, um einen REALEN Vergleich zu ziehen.

    Ich leide wie immer mit den Zivilisten, die Opfer der MachtGier von korrupten Eliten sind, besonders den Eliten von NATO&Co!

    Der Spruch "Zivilisten schützen" topt eindeutig "Arbeit macht frei" .

    Und daß UnterStützer und HelfersHelfer der Mörder in Syrien wie der Grüne Ferhad Ahma immer noch in Deutschland frei rumlaufen und für brutalste Terroristen werben dürfen, zeigt , daß der deutsche RechtsStaat dem Mitläufertum in einem mörderisch neokolonialen Club geopfert wurde, wie die deutsche Souveränität im wahrsten Sinne verkauft wurde an ESFS, so heißt glaub ich die letzte Variante.

  • D
    drubi

    Der Westen steht noch immer auf dem Standpunkt, dass er sich aus Rücksicht auf Russland und die arabischen Länder nicht einmischen wird. Das hält aber unsere scheinheiligen Friedensfürsten nicht davon ab, dem Westen Verschwörungen und Kriegstreiberei vorzuwerfen.

     

    Ich vermute mal, dass unsere Friedensbewegung und unsere Linken einfach nicht dabei gestört werden möchten, wenn sie lediglich zuschauen, wie in Syrien Menschen abgeschlachtet werden und ein totalitärer Despot nicht nur Militär und Geheimdienst gegen die eigene Bevölkerung einsetzt, sondern sich für seine mörderische Politik auch noch Verstärkung von solch friedliebenden Organisationen wie der Hezballah und den iranischen Revolutionsgarden holt. Und die Wafenlieferungen Russland dienen bestimmt auch nur einem humanitären Zweck.

     

    Was hier schon wieder einige Pazifisten und Linke abziehen schadet der Friedensbewegung auf eine Weise und in einem Umfang, wie es ihren sämtlichen Kritiker nicht gelingen könnte. Sie belegen eindrucksvoll, wie egal es ihnen ist, wenn anderswo Menschen aus politischen Gründen getötet werden. Hauptsache, sie können ihre strahlend reines Gewissen daran ein wenig polieren.

  • T
    toddi

    @SURI1

    und du, eh bist einfach gestrickter Volksverhetzer und Kriegstreiber. Suri1 du, aber vielleicht ist das ja Ihre "Kultur", du. Und nachdem "du" bewiesen hast das Geschichte für dich ein Fremdwort ist und Zuordnungsprobleme mit Faschismus, Nazi und Idioten bestehen würde "lernen" von Menschen Ihres Schlages Devolution bedeuten. (Zum Glück ist die Mehrzahl der Syrier/Innen deutlich über diesem Niveau.) Die von Ihnen verleumdeten Russen haben dafür ein Wort "durak"...

  • J
    Jeanne

    Die taz ist bemerkenswert linientreu - das zumindest muss frau ihr zugestehen. Würde mich nicht erstaunen, wenn diese syrischen "Menschenrechtsaktivisten" wie die ägyptischen von US-Stiftungen geschult wurden (Artikel in taz vom 10.2.2012). In Ägypten wurden nun Mitarbeiter der Stiftungen verhaftet. Die taz jault auf einer ganzen Zeitungsseite auf. Dass es sich bei den betroffenen Organisation um neokonservative Stiftungen, Ableger des USAID finanzierten "National Endowment for Democracy" (NED) handelt, verschweigt uns die taz hingegen. NED-Institutionen waren bereits in Lateinamerika aktiv - zu Ungunsten der Demokratie. Jetzt nutzen sie eben den arabischen Frühling, um die Interessen der US-Elite durchzusetzen. Das ist keine Verschwörungstheorie. Die Institutionen geben es auf ihren Websiten offen zu (vgl. blog.freedomhouse.org, Artikel vom 20.1.2012 von Kramer und Puddington).

     

    Und die taz arbeitet den Elite fleissig zu. Ein Geschichtchen über den Penner X, die Arbeitslose Y, die Demo Z und schwupps das Image aufpoliert - denkt die taz.

  • M
    Marcus

    @manfred das mit Israel in Verbindung zu bringen ist schon sehr paranoid. Die Rebellen sind zunächst ein recht bunter haufen, ihre mehrzahl stell aber eher konservative Moslems die gegenüber den eher gemäßigten Aleviten(auch Moslems z.B.: Assad) sicherlich nicht die erste Wahl Israels währen.

  • S
    Stefan

    Das schöne an von TAZ & Co. verbreiteter Propaganda ist, dass es NIE richtig gestellt wird und somit weiterhin als Fakt durch das Netz und das Leserempfinden schwirrt.

    Was in der Islamisten-Hochburg wirklich passiert ...? Jedenfalls sind viele, die Humanität einfordern alles andere als Menschenrechtler.

    Der arabische Frühling zeichnet sich durch Frost-Temperaturen aus. Das Islam-Grün der Islamisten ist KEIN Frühlingsbote.

  • R
    Raßlöffelchen

    Auch innerhalb der sysrischen Opposition gibt es Stimmen für und gegen einen internationalen Militäreinsatz, also Flugverbotszone, humanitäterer Korridor u.ä. Wer schnell den Militäreinsatz fordert, sollte neben den Pro- und Contra- Argumenten auch sagen, was dagegen unternommen wird, dass es nach einem Jahr nicht so aussieht wie heute in Lybien mit 100 - 300 verschiedenen Milizen und Folter (laut der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft Politik).

  • 5
    53b6d6b94999

    Wie wäre es, wenn als Quelle nicht immer nur die üblichen Nachrichtenagenturen verwendet würden, sondern auch mal solche aus z. B. Afrika, Mittelamerika, China, ...? Vielleicht gäbe es dann im ewigen Gleichklang der Propaganda ("Schlächter Assad") etwas Abwechslung.

  • S
    SURI1

    du klaus! du bist ein russischer propaganda-mensch!

  • M
    manfred (60)

    Wieder ein weiterer Vorstoß, uns auf einen neuen Krieg vorzubereiten. Dazu paßt eine Meldung, die am Mittwoch in den Mittagsstunden auftauchte, die aber wie von Geisterhand ganz schnell wieder verschwand: Das Pentagon sei auf ein militärisches Eingreifen vorbereitet, man warte nur noch auf die Anforderung aus dem Weißen Haus. Warum steht diese Meldung nicht in der taz, die wäre doch wichtig?

     

    Muß man mehr dazu sagen? Es geht um eine weitere Destabilisierung des Nahen Ostens, darum, den Weg für das israelische Großmachtstreben freizumachen und den Amerikanern unliebsame Regierungen zu stürzen.

     

    Wer eigentlich sind die immer wieder zitierten "Aktivisten", denen man angeblich die Internet- und Telephonverbindungen gekappt hat, die aber fröhlich weitertwittern und deren Meldungen man -leider- nie verifizieren kann? Da paßt doch was nicht.

  • K
    Klaus

    CIA Propaganda nichts weiter