Human-Rights-Watch klagt an: Britische Regierung ließ foltern
Die US-Menschenrechtsorganisation Human-Rights-Watch weist nach, dass London gemeinsame Sache mit dem pakistanischen Geheimdienst machte.
DUBLIN taz | Großbritannien hat sich an der Folter britischer Staatsbürger in Pakistan beteiligt. Zu diesem Ergebnis kam die New Yorker Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) nach einer Untersuchung, die mehr als ein Jahr dauerte. In ihrem Bericht namens "Cruel Britannia", der am Dienstag veröffentlicht wurde, beruft sich die Organisation nicht nur auf die Opfer, sondern auch auf die pakistanischen Folterer.
Die Autoren sprachen mit den betreffenden pakistanischen Geheimdienstmitarbeitern. Die sagten aus, ihre britischen Kollegen wussten, dass die britischen Terrorverdächtigen misshandelt wurden. "Sie saßen uns im Nacken und verlangten Informationen, während wir einen britischen Medizinstudenten aus London folterten." Die britischen Kollegen waren "dankbar, dass wir alle zur Verfügung stehenden Mittel anwandten, um Informationen aus ihm herauszuholen". Der Mann wurde geschlagen, ausgepeitscht, mit einer Bohrmaschine bedroht und am Schlafen gehindert.
Die britische Staatsanwaltschaft untersucht bereits zwei andere Fälle. Bei einem davon geht es um Binyam Mohamed, einem Äthiopier, der in London als Putzmann arbeitete und Elektrotechnik studierte. 2001 konvertierte er zum Islam. Nach einem Aufenthalt in Pakistan wurde er im April 2002 verhaftet, als er zurück nach London fliegen wollte. 18 Monate später verschleppte man ihn nach Afghanistan, dann nach Marokko, im September 2004 kam er nach Guantánamo. Nach monatelanger Folter unterschrieb er ein Geständnis. Mohamed ist der erste Guantánamo-Häftling, der nach dem Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama freikam. Der schlimmste Moment für ihn war, als ihm in Marokko klarwurde, dass die Leute, die ihn folterten, ihre Fragen und Dokumente vom britischen Geheimdienst bekommen hatten, sagte er.
Human Rights Watch fordert nun eine unabhängige Untersuchung aller Foltervorwürfe. Auch Amnesty International, der ehemalige Generalstaatsanwalt Ken Macdonald, der Regierungsberater in Sachen Antiterrorismus Lord Carlile, der frühere Generalstabschef Lord Guthrie und die britischen Oppositionsparteien wollen eine solche Untersuchung. HRW sagt, die britische Regierung sei nicht nur aus moralischen Gründen dazu verpflichtet, sondern auch auf Grund der internationalen Konvention gegen Folter.
Zunächst begann am Dienstag eine andere Untersuchung. Sie soll den Entscheidungsprozess unter die Lupe nehmen, der zur britischen Beteiligung am Irakkrieg führte. Es sei aber kein Gericht, das über Schuld und Unschuld zu befinden habe, betonte John Chilcot, der Leiter der Untersuchung. Der 70-Jährige war sieben Jahre Staatssekretär im Nordirlandministerium.
Am Dienstag stand der Zeitplan auf der Tagesordnung. Der damalige Premier Tony Blair hatte auch nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA eine Invasion des Irak abgelehnt, weil er wusste, dass das gegen internationales Recht verstoßen würde. Die britischen Geheimdienste konnten keine Verbindung zwischen Bin Laden und Saddam feststellen. Im April 2002 fand bei Blair ein Sinneswandel statt. Er erklärte Bush, er sei nun im Prinzip bereit, militärische Aktionen zu unterstützen, um einen Regimewechsel im Irak herbeizuführen. Doch noch im Juli 2002 warnte Lord Goldsmith, der damalige Generalstaatsanwalt, dass ein Regimewechsel keine "rechtliche Basis für einen Militäreinsatz" sei.
Bush und Blair wussten, dass es keine Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak gebe, so geht aus einem Memorandum vom 31. Januar 2003 hervor. Bush sagte damals zu Blair, man könne ja ein US-Flugzeug in den UN-Farben anmalen und hoffen, dass Saddam es abschießen würde. Blair soll demnächst vor dem Untersuchungsausschuss Stellung nehmen.
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