: Hü und hott
■ Geteilte Meinungen in den Niederlanden über den Bonn/Berlin-„Krieg“
Weil demoskopische Unterlagen aus den Niederlanden über die Gretchenfrage Bonn/Berlin fehlen, frage ich seit Monaten Freunde, Kollegen, Verwandte und Bekannte nach ihrer Präferenz. Denn schließlich betrachtet sich jeder Niederländer in Sachen Deutschland als Experte.
Die Antworten haben mich verblüfft. Obwohl das Thema wenig Emotionen weckt, argumentieren die meisten wie waschechte Deutsche! Ein Amsterdamer: „Obwohl ich ein Fan von Berlin bin, wäre es viel vernünftiger, in Bonn zu bleiben. Schon der Kosten wegen. Unser Selbstbewußtsein leidet doch auch nicht unter der Tatsache, daß Den Haag Regierungssitz ist. Was heißt hier versprochen? Weltstadt ist Berlin auch so schon. Was in Rotterdam verdient wird, verwaltet Den Haag, und wir geben es aus. So sollten die Berliner es auch halten! Basta.“
Oftmals verkünden allerdings Ältere einen Pro-Berlin-Standpunkt, als würden die Herren von Weizsäcker, Momper, Diepgen, Kohl oder Vogel ihnen persönlich soufflieren.
Man hätte sie im vergangenen Jahr noch hören sollen. D-Mark- Macht Deutschland dominiert Europa! Partner in leadership? Buuuh! Bush sollte Geschichtsunterricht nehmen.
Und jetzt? Vermeintliche Intellektuelle mit tiefen Sympathien für Rot-Grün rufen: „Das muß man Kohl lassen. Hat er ausgezeichnet hingekriegt. Hätte ich nie für möglich gehalten. Mich beunruhigen die rechtsradikalen Tendenzen im Osten aber sehr stark.“
Wenn sich schon jemand an der Heimatfront für meinen B/B- Standpunkt interessiert, wird zuallererst bemerkt: „Du ziehst sicherlich nicht gerne um, nicht wahr? Bei der Wohnungsknappheit in Berlin! Die tägliche Arbeit läßt sich gewiß von Bonn aus besser bewältigen!“
Auch mir wurde vom Berliner Senat (von Momper bis Diepgen) eine Gehirnwäsche verpaßt. Jedes Mal, wenn ich von einer Info-Reise in „mein“ Dorf am Rhein (zwischen Bonn und Köln) zurückkehrte, war ich überzeugt, daß jedermann/frau, der/die sich in den vergangenen Jahren so wohlig am Schicksalsfluß eingenistet hat, so schnell wie möglich gen Osten transportiert werden müsse.
„Eine Tragödie wäre die Entscheidung für das Kaff hinter den sieben Bergen“, rief ich lauthals. „Ich ziehe an die Spree. Nichts wie raus hier. Zum Alex, nach Marzahn, Suhl oder Schwerin, ihr saturierten Westler. Damit ihr endlich einseht, daß es vorbei ist mit der heilen Welt der Wessi-Republik. Damit ihr näher bei euren beklagenswerten Landsleuten seid, näher auch bei Gorbi, Walesa oder Havel.“
Die Gehirnwäscher hatten ganze Arbeit geleistet. Was Bonn an Propaganda betrieb, war weniger überzeugend. Eine Schiffsreise auf dem Rhein. Europa-Fest mit Feuerwerk. Doch Bonn bleibt Bonn. Drittklassiges Theater, bürgerlich bis spießig, angenehmer Wohnort. Obwohl Amsterdamerin ohne religiöse Bindungen sind mir die katholischen Rheinländer mit ihrer „Leben und leben lassen“-Mentalität trotz oder vielleicht wegen ihrer fröhlichen Unzuverlässigkeit sympathisch.
Seit kurzem gehen mir aber die Bemerkungen eines meiner polnischen Kollegen nicht mehr aus dem Sinn: „Ostpolitik. Warschauer Vertrag. Deutsch-polnischer Vertrag über gutnachbarliche Beziehungen. Brandt, Schmidt und Kohl versuchten jeweils auf ihre Weise, eine Politik der Versöhnung einzuleiten. Von Bonn aus. Berlin soll nicht traurig sein, wenn es nicht alles bekommt, was es sich erhofft. Es läßt sich auch in einer spießigen Stadt am Rhein ebensogut große Politik machen wie in einer Metropole mit magnetischer Anziehungskraft. Es sind die Köpfe, nicht die Orte, die die Zukunft Deutschlands bestimmen.“ Hat er nicht recht?
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