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Hotel Lux, Zimmer zum Hof

Im „Hotel Lux“ lebten die ausländischen Kommunisten – und viele starben dort/ Heute sucht man einen ausländischen Käufer  ■ Aus Moskau Galina Lapsina

Fast hundert Jahre lang war es nie besonders schwierig, in Moskau auf der Twerskaja-Straße jenes Hotel zu finden, das heute „Zentralnaja“ heißt und eine Zeitlang den Namen „Lux“ trug. Aber plötzlich ist es wie verschwunden: Schon seit einem Jahr weist keinerlei Aushängeschild mehr auf den Charakter des Gebäudes hin, und auch den Eingang kann man jetzt leicht mit dem des benachbarten „Pizza Hut“ verwechseln. Selbst von den alteingesessenen Moskauern erinnern sich nur noch wenige daran, daß dieses Haus eine ganz besondere Rolle in der Geschichte gespielt hat. Seit dem dritten Kominternkongreß 1921 bis zur Mitte der vierziger Jahre lebten hier Menschen aus aller Welt, die die Idee der Weltrevolution vereinte, darunter Führer fast aller kommunistischen Parteien.

Noch heute lebt in Moskau eine ehemalige „Lux“-Bewohnerin, die 91jährige Franceska Jablonskaja. Sie ist die Witwe eines führenden polnischen Kommunisten, der im Jahre 1938 erschossen wurde, und kannte noch selbst den geheimnisvollen Richard Sorge, der für die Sowjetunion in Asien spionierte. Noch heute bekommt sie von Genossen und Genossinnen aus Kanada und Österreich Weihnachtspäckchen. Bitter erklärt sie ihren Urenkeln, daß das, was in diesem Lande verwirklicht wurde, nicht der Sozialismus war, von dem sie einst geträumt hat. Aber ihr Idealismus hat sie nicht verlassen, und sie hält ihnen auch triumphierend vor: „Wenigstens habt ihr nie erleben müssen, wie man früher die Kinder von Köchinnen erniedrigte.“

Franceska wohnte 1933 im „Lux“. Nach 1937 wurden viele ihrer Freunde ermordet und in die Lager geschickt. Sie erinnert sich noch, wie die Mitarbeiterinnen Richard Sorges im Hotel verhaftet wurden. Im Durchschnitt wohnten im Lux etwa 350 Menschen, Mitarbeiter des Moskauer Komintern- Apparates. Nach dem Jahre 1939 wurde dies dann eine Unterkunft für Flüchtlinge aus Österreich, der Tschechoslowakei und Spanien. Die protzige Eingangshalle täuschte darüber hinweg, daß das Leben im Komintern-Haus nicht gerade bequem war. Auf jeder Etage gab es zwei Küchen und eine Toilette mit drei Becken. Unten im Haus ein einziges Gemeinschaftsbadezimmer mit sechs Wannen. Die Angst und die nervliche Anspannung führten dazu, daß Selbstmorde fast an der Tagesordnung waren. Die Menschen, wie beispielsweise der finnische Kommunistenführer Antikainen, stürzten sich aus den Fenstern. Aber nicht auf die Twerskaja-Straße, dem Volk vor die Füße, sondern in den Hof.

Massen von Wanzen, Schaben und Ratten, wobei letztere das Haus der Bäckerei wegen schätzten, trugen kaum zum Wohlbefinden der Komintern-Kader bei. Viele hielten Katzen zur eigenen Verteidigung. Nachts gingen die Pförtner auf Rattenjagd. Die Wächter, alte Revolutionäre, kontrollierten unerbittlich die Passierscheine, alle Besucher von außerhalb wurden registriert. Wie zum Trotz war aber eine Hintertreppe meist unbewacht, so daß regelmäßig Prostituierte ins Haus kamen.

Im Jahre 1943 wurde die Komintern aufgelöst. Die Überlebenden kehrten nach Kriegsende in ihre Heimatländer zurück. Zu Beginn der fünfziger Jahre brachte man im Lux verdiente Kolchosbauern unter, zur Eröffnung der Ausstellung der Errungenschaften der Völker der Sowjetunion.

Heute bewachen den Eingang in das namenlose Hotel wackere Jungs in Militäruniformen – von der Moskauer Antiterror-Einsatztruppe OMON. Alle Hintereingänge sind fest verrammelt. Angesichts der jetzigen Bewohner des Ex-Komintern-Hotels nicht weiter verwunderlich: Hier nämlich befindet sich eines der hauptstädtischen „Nester“ von Personen der sogenannten „kaukasischen Nationalität“. Wegen der günstigen Lage und niedrigen Preise – ein Tag kostet zweieinhalbtausend Rubel – haben die Daghestaner dieses Quartier liebgewonnen. Zum Glück für das Personal sind sie im Unterschied zu – sagen wir einmal den Tschetschenen – ein friedliches Völkchen. Sie kaufen in Moskau ganze Warensortimente auf und schicken sie nach Hause. Viele leben hier mit Familie, die Frauen tragen Tracht, die obligatorischen Kopftücher sind reich bestickt. Der niedrige Flügel im Hof, in dem früher die Frauen verhafteter Funktionäre vegetierten, wird heute von staatlichen Behörden genutzt.

Seit zwanzig Jahren verspricht die Stadt dem Hotel eine Renovierung von Grund auf. Deshalb wartete man immer mit der Komintern-Gedenktafel am Hause, die eigentlich durchaus geplant war. Ja, und nun hat man schon beschlossen, alle Tafeln überhaupt abzunehmen. Im übrigen, so bestätigt mir die Direktorin Bella Gawrilowa, sei im Hause in Hinsicht auf Ratten, Schaben, Toiletten und Bäder alles beim alten geblieben. Das Arbeitskollektiv würde gern von seinem Recht Gebrauch machen, das „Zentralnaja“ in eigenen Privatbesitz zu verwandeln, betreibe die Sache aber zögerlich, weil es gleichzeitig hoffe, eine westliche Firma möge sich für das Haus nebst Angestellten interessieren. „Die Konditionen sind günstig“, sagt Frau Gawrilowa. Hat nicht jemand von den taz- LeserInnen Lust?

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