Hostels entdecken Neukölln: Auf einmal hört man Spanisch
Nach der Szene kommen die Touristen: Am S-Bahnhof Neukölln hat das zweite große Hostel des Bezirks aufgemacht.
Arzu Celabi will nichts beschönigen: „Januar war ein sehr harter Monat für uns.“ Aber jetzt gebe es Bewegung: „Für März und April haben sich schon viele Gäste angemeldet, auch Gruppen. Aus Deutschland, Polen, Spanien, Lateinamerika, aus allen Altersklassen.“ Im März möchte sie nachholen, was sie die letzten zwei Monate nicht geschafft hat: eine Einweihungsparty.
Mitte Dezember hat das 2A Hostel eröffnet, „inmitten des Szenebezirks Neukölln“, wie es auf der Website heißt. Es ist eines der ersten Hostels im Bezirk und das erste in dieser Größe: 40 Zimmer, knapp 200 Betten, 24 Stunden geöffnet. Das Rixpack, das seit 2010 Gäste am U-Bahnhof Rathaus Neukölln empfängt, hat 75 Betten. Dass es sich als erstes größeres Hostel in Neukölln niederließ, war allerdings eher Zufall, sagt Rixpack-Leiter Stefan Richter: „Das Gebäude war eben hier.“ Den meisten Gästen sei der Bezirk lange egal gewesen, Hauptsache, verkehrsgünstig. Das hat sich geändert: „2011 hatte ich zum ersten Mal Gäste, die gezielt nach Neukölln gekommen sind“, erzählt Richter. Freunde von jungen Berlinern, die den neuen Ruf Neuköllns weitergetragen haben. Oder Leute, die unbedingt im Bezirk wohnen wollen und sich erst mal im Hostel einquartieren, um von dort aus zu suchen.
Neue Klientel
Dass sich im Bezirk nun etwas tut, sagt Richter, merke er ganz deutlich. Erst machten immer mehr Kneipen in Nord-Neukölln auf. „Und auf einmal sind Touristen unterwegs, man hört Spanisch und Italienisch auf der Straße, das fällt auf.“ Zwar gebe es noch immer alteingesessene Kneipen und Kiezbewohner. Aber die neue Klientel, die Veränderungen im Stadtteil – die machten sich schon bemerkbar.
So ist es kein Wunder, dass das 2A Hostel im Netz gezielt mit dem neuen Image seines Standorts wirbt: „Der Berliner Bezirk Neukölln ist in den letzten Jahren zu einem angesagten und kreativen Kiez herangewachsen. Es ist hip, jung und kreativ! Es ist nicht nur ein Kiez, sondern mittlerweile auch ein Lebensgefühl …“
Dabei landete auch das neue Hostel eher zufällig im Kiez: Die Idee, sagt Leiterin Celabi, sei schon vor fünf Jahren entstanden – während einer sechsmonatigen Weltreise, auf der sie „die Hostelwelt“ als Gast kennen gelernt hat. Die zierliche Frau mit den wachen Augen sitzt in der Lounge ihres Projekts, im Hintergrund läuft gedämpfte Musik. Im Raum dominieren dunkles Holzimitat und orange Polster, an der Wand hängt ein großer Bildschirm, es blitzt vor Sauberkeit. Morgens gibt es hier Frühstücksbuffet für die Gäste, jetzt, am späten Nachmittag, sitzt nur ein älteres Pärchen an der Bar. Vor den bodentiefen Fenstern eilen in der hereinbrechenden Dunkelheit die Menschen zur Ringbahn, die direkt hinter dem vierstöckigen Gebäude hält.
Das war Celabis Idee: ein Hostel, aber nicht so eine schmuddelige Absteige, sondern eher ein günstiges Hotel. So bietet das Haus heute auch Zweibettzimmer mit Fernseher und eine Internet-Lounge, jede Etage ist in einer anderen Farbe gestaltet. Es hat gedauert, bis Celabi die nötigen Kredite bekommen hat und schließlich das vierstöckige Gebäude am S-Bahnhof Neukölln fand. Es gehört einem türkischen Geschäftsmann, der im anderen Teil des gerade sanierten Gebäudes einen Großhandel für Wein und Lebensmittel betreibt.
Mit rund 50 Prozent ist die Auslastung von Hostels in Berlin gering, der Preiskampf ist hart. Darauf einlassen will sich die Betreiberin des 2A nicht. Acht Euro für eine Nacht, sagt sie, das mache sie nicht mit. Die Gäste sagt sie, wüssten auch Qualität zu schätzen, viele kämen schon jetzt auf Empfehlung von Freunden. An eine große Pinnwand haben Gäste bunte Zettel gepinnt: „Sehr sauber“ steht darauf, „Das Personal sehr freundlich und hilfsbereit“, aber auch „Die S-Bahn ist laut“ oder „Ein bisschen weit weg von der Innenstadt“.
„Neukölln ist im Umbruch“, findet Celabi. „Natürlich hoffen wir, dass sich da in den nächsten Jahren etwas entwickelt.“ Derzeit überschneiden sie sich noch, das alte und das neue Bild, das Ghetto und der Szenebezirk. Es habe auch schon eine Gruppe gegeben, die wieder absagte, nachdem sie erfahren hatte, dass das Hostel in Neukölln liegt. Gruppen, die gezielt nach Neukölln kommen, gebe es bislang kaum. „Da zählen eher die gute Anbindung und der S-Bahn-Anschluss. Oder die Nähe zum Flughafen Schönefeld“, sagt Celabi. „Die meisten orientieren sich noch in Richtung Innenstadt, gehen nach Mitte, sehen sich die Touristen-Highlights an.“ Aber die, die länger blieben, fragten zunehmend auch nach Anlaufpunkten in der Umgebung und gingen etwa in die Restaurants am Richardplatz. In der Umgebung hat sich einiges getan: In den Kopfsteinpflasterstraßen von Rixdorf, wenige Minuten entfernt, eröffnen kleine Galerien, Läden, vegetarische Restaurants.
Bröckelnde Gehsteige
Die Preise bei Neuvermietung sind im Quartier im Schnitt um zehn bis fünfzehn Prozent im letzten Jahr gestiegen. Entlang der Saalestraße, an der das Hostel liegt, ist vom schicken Kiez nicht allzu viel zu sehen: Gegenüber verladen Gabelstapler Pakete aus einem Fliesenlager, die Gehsteige bröckeln, ein kleiner Park ist „wegen Unfallgefahr“ mit Gittern abgesperrt. Doch auf der kurzen Strecke bis zum nahen U-Bahnhof an der Karl-Marx-Straße hat ein neuer Spätkauf aufgemacht, am Bahnhof eine neue McDonald’s-Filiale und ein Döner-Imbiss. In diesem Jahr, hat das Bezirksamt versprochen, sollen die Bürgersteige in der Straße gemacht werden, die an vielen Stellen bröckeln. Und neue Lampen sollen aufgestellt werden. „Damit die Straße ein bisschen freundlicher und heller wird“, sagt die Hostelchefin.
Für eine weitere Veränderung hat das 2A selbst gesorgt: Die Brache gegenüber den großen Bar-Fenstern ist geräumt. Bisher gab es hier jedes Wochenende einen Flohmarkt, ein wildes Durcheinander brüchiger Hütten, wild gestapelter Gebrauchswaren und Schrott. Geblieben ist ein Schild, das auf einen anderen Flohmarkt verweist – in Treptow. Auf der Fläche parken jetzt die Hostelgäste ihre Autos. „Das haben wir uns vom Besitzer des Grundstücks gewünscht“, sagt Celabi. „Der Flohmarkt, das war den Gästen einfach nicht zuzumuten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles