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Press-SchlagHose nicht mehr voll

■ Werder befreit sich aus Psychokrise

Brodeln in Grünweiß: Die Fans im Bremer Weserstadion singen und tanzen, als hätten ihre Kicker die Meisterschaft klargemacht. Mindestens. Willi Lemke gibt auf der Tartanbahn den La-ola-Eintänzer. Und die Anhängerschaft, ansonsten eher bekannt für tiefsitzende hanseatische Grundmauligkeit, fordert lautstark: „Wir wolln die Mannschaft sehn!“ Nicht etwa, um die zu schmähen wie nach dem letzten Heimspiel gegen die 60er, als es noch den vielstimmigen Befund gab: „Ihr seid zu blöd!“ Nein, nach langer Zeit geht's wieder um Liebesbeweise.

Werder hat sich mit viel Glück und noch mehr Kampf aus einer tiefen Depression gemuddelt. 2:1 gegen Bayer Leverkusen, gegen den selbsternannten Meisterschaftsanwärter. 2:1 gegen die, und das als Tabellenletzte. Das Bremer Signal: Na also, geht doch! Man ahnt schon: Das war kein schönes Fußballspiel. Wie sollte es auch anders sein, wenn sich eine komplett verunsicherte Combo aus dem Jammertal herausarbeitet. Denn das war es vor allem: Arbeit. Und Trotz. „Wäre ja noch schöner, wenn Werder ein Abstiegskandidat wäre“, hatte Jens Todt nach dem vergurkten Auftritt in Bielefeld gesagt. Ein erstes zartes Signal des Aufbruchs, nachdem er und seine Mitspieler sich über ein Jahr lang in Selbstgeißelung und Ratlosigkeit geübt hatten. Kurzfassung: Wir haben Scheiße gespielt, aber wir wissen auch nicht, woran's liegt. Werder, eine Mannschaft, die immer weniger eine war. Eine Gruppe verunsicherter Kicker, die frustriert, ratlos und schweigend über den Rasen schlichen. Ein Team, bei dem die Angst als zwölfter Mann immer mit auflief. Die Angst vor dem Fehlpaß, vor den Pfiffen, vor den hämischen Kommentaren. Kurzum: Wer die Hosen voll hat, kann nicht richtig rennen.

Fußballästheten rieselt's kalt den Rücken runter, aber selbst der größte Feinschmecker muß anerkennen, daß Interimscoach Wolfgang Sidka offensichtlich recht hatte, als er von der Mannschaft „deutsche Tugenden“ forderte. Da wurde gerackert, gegrätscht und gegengehalten, was die müden Knochen hergaben. Da kochte der Fanblock, auch wenn die auf dem Rasen alles andere als Zauberfußball lieferten. „Da hat wieder mal eine Mannschaft auf dem Platz gestanden“, freute sich der Schweizer Jungstar Raphael Wicky hernach. Und das ganz ohne Trainer-Messias, den das Präsidium nach dem Rausschmiß von Übungsleiter Dörner verzweifelt sucht. Ein gewonnenes Spiel — schon wird landauf, landab vom Jogi-Löw- Effekt schwadroniert. Die Werder-Oberen wird's freuen. Fünf Wunschkandidaten haben schon abgewunken, als sie an die Weser kommen sollten. Prognose: Es wird weitergehen mit Wolfgang Sidka. Und mit den deutschen Tugenden. J.G.

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