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Honecker: Kein Anlaß für Änderung der bisherigen Politik

Ost–Berlin (dpa) - Neun großformatige Seiten füllten die Auszüge aus Honeckers Grundsatzreferat in der Samstagausgabe im Parteiblatt Neues Deutschland. Es blieb kein Zweifel daran, daß die SED für Änderungen in ihrer Politik keinen Anlaß sieht und die Reformansätze in der UdSSR mit Distanz beobachtet. Man könne „über die UdSSR, über ihre Entwicklungsphasen reden, wie man will“, so bleibe doch klar, daß die Oktoberrevolution und der Aufstieg „zu einer erstklassigen Weltmacht“ ein Ereignis „von wahrhaft historischer Bedeutung“ sei. Jedes sozialistische Land müsse „seinen Entwicklungsstand und seine spezifischen Gegebenheiten berücksichtigen, was natürlich mit sich bringt, daß es auch Unterschiede im Herangehen gibt“. Ohne, jedenfalls im veröffentlichten Teil der Rede, auf die von Parteichef Michail Gorbatschow angeregte Änderung im sowjetischen Wahlsystem mit der Möglichkeit mehrerer Kandidatenvorschläge einzugehen, stellte Honecker klar, daß solche Überlegungen für die SED abwegig sind. „Vor unseren Volkswahlen im vorigen Jahr“ habe jeder die Möglichkeit gehabt, die Kandidaten „auszuwählen, auf die Liste zu setzen oder abzulehnen“ oder bei der Wahl selbst jene zu streichen, die nicht sein Vertrauen gehabt hätten. Ein hoher SED–Funktionär räumte jedoch öffentlich ein, er habe keinen Fall in Erinnerung, in dem ein Kandidat noch aus der „Einheitsliste“, die unter Führung der SED aufgestellt wird und von den Wählern in der Regel gar nicht beeinflußt werden kann, herausgewählt worden sei. Im ideologischen Teil seiner Rede setzte sich Honecker auffallend ausführlich mit dem Vorwurf mangelnder Beachtung der individuellen Freiheitsrechte „im Sozialismus“ auseinander. „Zuweilen“ gebe es „selbst bei wohlmeinenden Diskussionspartnern und Bündnisgenossen die Auffassung“, der Sozialismus habe zwar im Bereich der „sozialen und kulturellen Rechte viel zu bieten, im Bereich der politischen, persönlichen Rechte, der Demokratie sei ihm aber der Kapitalismus noch voraus“. Dies stimme „natürlich nicht“, hielt er dem entgegen und wandte viel Mühe auf, solche Kritik zu entkräften, schränkte aber selbst ein: „Ausübung von Menschenrechten heißt bei uns Mitgestaltung des Sozialismus.“ Mit Stolz könne in der ideologischen Arbeit „auf das dank unserer marxistisch–leninistischen Politik Erreichte, auf die sozialistischen Errungenschaften“ verwiesen werden. (Kommentar S.4).

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