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Homophobie in KreuzbergEinschüchtern lassen gilt nicht

Zu einer Spontandemo in Kreuzberg kommen mehr als 1.500 Menschen. Die Veranstalterin beklagt eine zunehmende Schwulenfeindlichkeit - nicht nur unter Migranten.

Protest gegen Homophobie

Nach dem Überfall auf Drag-Künstler in der Nacht zu Sonntag in der Oranienstraße sind am Montagabend 1.600 Menschen in Kreuzberg auf die Straße gegangen, um gegen homophobe Gewalt zu demonstrieren. Jugendliche türkischer Herkunft seien schwulen- und lesbenfeindlicher als ihre deutschen Altersgenossen, sagt der Psychologieprofessor Bernd Simon.

Eine Stunde vor Beginn der Demonstration geben die Polizisten der Veranstalterin Pia Thielmann noch einen Ratschlag: "Wenn nicht so viele kommen, benutzen Sie bitte den Gehweg." Mit 50 Teilnehmern rechnet Thielmann, als sie am Montagmorgen ihre Spontandemo gegen Homophobie lanciert. Doch was sich am Abend in Kreuzberg abspielt, übertrifft bei Weitem ihre Erwartungen.

Gegen 19 Uhr strömen die Menschen auf den Mariannenplatz. Erst einhundert, dann zwei-, drei-, vierhundert. Drags im Freizeitlook aus Minirock und Netzstrumpfhose verteilen großzügig Umarmungen untereinander. Auf dem Platz stehen schwule und lesbische Paare, Eltern mit Kindern, Jugendliche. Auch der allgegenwärtige Kreuzberger Grüne Hans-Christian Ströbele ist zugegen und Mitglieder des Türkischen Bundes Berlin. Die Stimmung ist entspannt und ausgelassen. Julia (29) ist mit ihrer irischen Freundin gekommen. Die zwei diskutieren über den Überfall von Sonntag Morgen - den Anlass der Demonstration: Sieben Drag-Künstlerinnen wurden in der Oranienstraße von Unbekannten zusammengeschlagen, als sie sich auf dem Heimweg von einem Drag-Festival befanden. Augenzeugen bezeichneten die Täter als Männer türkischer Herkunft.

"Egal wer es war", sagt Julia, "wir sind hier, um zu zeigen, dass es so nicht geht." Wenn sie ihre Freundin auf der Straße küsse, ernte sie bisweilen böse Blicke. Doch Drags seien für Außenstehende noch eine Nummer verwirrender. "Weil sie nicht verstanden werden, werden sie gehasst", meint die Kreuzbergerin.

Ein paar Meter weiter kritzeln die Veranstalter der Demo eine neue Route auf ein taschentuchgroßes Papier, weil sie ihre alte wegen des Andrangs nicht mehr halten können. Als der Demonstrationszug sich gegen halb acht mit dem Ziel Heinrichplatz in Bewegung setzt, spricht die Polizei von mittlerweile 1.600 Teilnehmern. Sie ziehen gut gelaunt hinter dem Lautsprecherbus her und skandieren "Smash Homophobia!", das Motto der Veranstaltung. Rechts und links am Straßenrand stehen türkische Familien und Jugendliche, sie beobachten die bunte Menge. Manchmal kommt es zum Austausch zwischen denen am Rand und denen auf der Straße.

Ein junger Türke mit dickem Terrier tritt auf eine Demonstrantin zu und fragt, wogegen denn hier demonstiert werde. Sie erklärt es ihm, er nickt interessiert und dann stehen sie eine ganze Weile zusammen in der Waldemarstraße und sprechen über die Trägheit des dicken Hundes. In der Adalbertstraße erklärt ein 30-jähriger Türke, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will: "Wir haben nichts gegen Schwule. Aber in der Türkei gibt es keine." Die gebe es sehr wohl, unterbricht ihn seine Freundin und die beiden streiten ein wenig. Die Demonstranten ziehen weiter. Sie wollen als nächstes zum SO 36, vor dessen Tür der Überfall am Wochenende stattfand.

Der Club führt viele schwul-lesbische Veranstaltungen im Programm, wie die "Gayhane"-Reihe zum Beispiel. Diese wird hauptsächlich von einem Publikum mit türkischem Hintergrund besucht. "Im Rahmen von Gayhane kam es in letzter Zeit immer wieder zur Angriffen gegen Gäste", ist auf dem Flyer zu lesen, der während der Demo verteilt wird. Die Täter sammelten sich in Seitenstraßen, um gezielt Partypublikum abzupassen. Auch Felix (30), der mit drei Freunden bei der Demo mitläuft, bestätigt: "Das SO 36 ist mittlerweile zu einem Laden geworden, bei dem man sich fragt: Fahren wir da sicherheitshalber mit einem Taxi vor, wenn wir Fummel tagen?"

Die Abschlusskundgebung findet auf dem Heinrichplatz statt. Demo-Veranstalterin Thielmann betont, Homophobie sei nicht nur ein "migrantisches" Problem: "Deutsche Fußballfans haben während des Drag-Festivals am Wochenende genauso gegen Leute gepöbelt, die ihnen nicht heterosexuell genug aussahen", so Thielmann. Dann hören sie und die anderen Demonstranten, was eines der Opfer vom Sonntag, der israelische Drag-King Ido Tigmore, zu sagen hat: "Wir lassen uns nicht einschüchtern!" ist seine Botschaft.

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5 Kommentare

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  • J
    jonny

    welcome to reality, Nachrichten sind Tagesgeschäft und wenn Journalisten sich länger als einen Tag für dieselbe Person interessieren würden,hätten sie einen anderen Beruf oder würden Günter Wallraff heißen.

    Ich(selbst Migrant)bin auch schon von einem Migranten übel aus dem nichts heraus geschlagen worden, und für mich war das gleiche wie für Euch das wahre Problem: es standen ganz viele Deutsche dabei. Und alle schauten mit riesengroßen Augen hin. Und dann weg. Und waren einfach froh,dass es nicht sie erwischt hat.

    Die Politik geht in Deutschland mit Gewalttätern gleich welcher Herkunft im Sinne der Resozialisierung viel zu nett um.

    Seltsamerweise will man in diesem Land lieber einen Vergewaltiger resozialisieren als einen Steuerhinterzieher.

    Täter schickt man auf den Ponyhof,die Opfer sollen selber sehen wie sie sich wieder integrieren in die stumme Herde der "Schnauzehalter".

    Und das schlimmste ist,dass ich mir jetzt auch genau anschaue,wem ich helfe und wem nicht,weil ich weiß - die meisten wären sich zu schade mir auch nur einen Tritt in den Hintern zu geben, selbst wenn sie mir damit das Leben retteten.

    ich hab auch keine lösung,sry.

  • DT
    die tipse

    als kurzfristiger demo-teilnehmer - eher männlich verortet, obwohl es nicht jeder gleich sieht - möchte ich hier die veranstaltergruppe loben, dass sie so schnell so viele menschen egal welcher verortung/geschlecht/nationalität/sexueller ausrichtung zusammengetrommelt haben!

     

    letztendlich habe ich noch schnell ein transpi dahergekritzelt, damit die nachbarschaft auch weiss, warum die netten leute da draussen jetzt auf der strasse gehen anstatt auf dem gehweg. über transpis lässt sich sicher streiten, doch stellt es ein schriftliches statement dar, welches sich weiterträgt. mein transpi mit kuli hies: FICKT DIE WÖLFE IN DEN PO! nunja, es hatte auf alle fälle seine reaktionen aus allen richtungen empfangen.

     

    ich würde mich sehr freuen, wenn wer ein paar fotos von der demo hat???

     

    die.tipse

  • M
    Manuela

    "Die Veranstalterin beklagt eine zunehmende Schwulenfeindlichkeit - nicht nur unter Migranten."

     

    Danke für die ausführliche Berichterstattung über den homphoben Angriff selbst und die Demonstration am Montag. Dennoch muss ich euch fragen, ob euch die Worte fehlen zu beschreiben, was am Sonntagmorgen vor dem SO36 geschah? Die Veranstalterin beklagte sicher nicht nur die zunehmende Schwulenfeindlichkeit, sondern angesichts der Geschehnisse auch die zunehmende Gewalt, der Lesben, Drags und Transgender, denn das waren die Opfer am Wochenende, ausgesetzt sind.

  • J
    Jörg

    Ja, Mensch, das ist ja was. Die taz nennt tatsächlich bei einem Gewaltverbrechen in Berlin die Nationalität. Leute, ich bin schwul und ich lebe in Kreuzberg und ich werde den Teufel tun, hier irgendwo öffentlich meinen Freund zu küssen.

     

    Aber sowas hat die taz ja viel jahre lang einfach immer ignoriert. Es interessiert die taz einen Scheißdreck, dass es ein (kleiner) Teil der Migranten hier sich extrem brutalisiert hat. Stattdessen verweist diese Zeitung immer schön pädagogisch darauf: es ist bei den "Mehrheitsdeutschen" genauso, oder besser noch: die "Mehrheitsdeutschen" sind eigentlich Schuld an dieser Gewalt.

     

    So gut wie alle brutalen Überfälle und Messerattacken in West-Berlin gehen auf das Konto von (meist türkischen und arabischen) Migranten.

     

    Aber diese Form von Brutalität interessiert euch nicht. Kreuzberg geht kaputt. Und die taz trägt ihr Scherflein dazu bei.

     

    PS: und um hier nicht von Euch in eine bescheuerte Ecke gestellt zu werden: ich komme aus der Antifabewegung & im Ostteil der Stadt geht es anders zu. Aber das wird auch überall ausführlichst benannt. Im Westen dominieren die Tabus der 68er Spiesser.

  • T
    Tommi

    Mein Gott, diese politische Korrektheit bei Euch!!

     

    Ihr berichtet über die Herkunft der Täter nur, wenn es eine offizielle politisch korrekte Opfergruppe gibt (Frauen, Schwule)...

     

    ... und selbst dann ist es natürlich die "Schuld der deutschen Mehrheitsgesellschaft". Und natürlich ist es genau dasselbe, ob nun Fußballfans pöbeln oder Jungtürken zuschlagen.

     

    Darf ich vielleicht dran erinnern, dass in Schöneberg ein Schwulenzentrum schließen mußte, weil wir immer wieder von jungen Arabern und Türken zusammengeschlagen wurden.

     

    Habt Ihr vielleicht noch das schöne Video vom Karneval der Kulturen in Erinnerung, auf dem eine komplette türkische Gang ein schwules Paar brutal zusammenschlägt.

     

    Es ist für Schwule und Lesben schon lange nicht mehr sicher offen durch Kreuzberg zu laufen.

     

    Und in Schöneberg hüte man sich, den Winterfeldplatz Richtung Osten zu verlassen.

     

    Es gibt längst massenhaft no-go-areas für uns Schwule in Berlin. Aber natürlich ist das nur die Schuld der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Wir sind ja auch Schuld an der Verfolgung von schwulen in allen arabischen Ländern... Klar.