Hommage an William S. Burroughs: Wilde Reise durch die Interzone

Den Beatnik-Literaten William Burroughs umgeben viele Mythen. Heute wäre er 100 Jahre geworden. Gebraucht wird er weiterhin.

Filmstil aus „William S. Burroughs: A Man Within“. Bild: dpa/AMW Presse/Neue Visionen

Der Typ, der seine Frau erschoss. Der Kerl mit dem Bogart-Hut. Dichter auf H. Waffennarr. Ein Pionier für die Punks, ein schwuler Held der Subkultur. Reicher Erbe ohne Geldsorgen. Es gibt zahlreiche Zuschreibungen für diesen William S. Burroughs, manche davon zutreffend, manche weniger. Ganz sicher aber sind es genau diese Mythen, die den dürren, faltigen Mann im grauen Mantel zeit seines Lebens und darüber hinaus so faszinierend erscheinen lassen.

William Seward Burroughs wäre am heutigen Mittwoch 100 Jahre alt geworden. Den Stempel der Beat Generation, als deren wichtigster Vertreter er neben Allen Ginsberg und Jack Kerouac galt, wollte er nie auf seiner Stirn sehen. Der Grund, warum man sich auch heute noch für die Biografien der Beatnik-Protagonisten interessiert – gerade erst widmet sich der Film „Kill Your Darlings“ dem Gründungsmythos des Zirkels –, liegt in ihrem gesamten Leben und Wirken, nicht nur in ihrer Literatur.

Die Beatniks, die in den 50ern in New York und San Francisco zur künstlerischen Bewegung wurden, waren die ersten Rockstars der US-amerikanischen Literatur – und der Typ mit Hut ihr Guru.

Burroughs stammt aus der Familie, die mit den Burroughs-Addiermaschinen zu Geld kam – daher der Mythos des Mannes ohne Geldsorgen. Seine bekanntesten Werke sind „Naked Lunch“ (Erstveröffentlichung 1959), ein irrer Roman über die korrupte Natur des Menschen, und der Drogenroman „Junkie“. Mehr als in seiner Funktion als Schriftsteller taugte er für die Öffentlichkeit als Skandalfigur. Unter Drogeneinfluss erschoss er 1951 auf einer Party seine Frau Joan Vollmer. Vollmer hatte einen Apfel auf dem Kopf, Burroughs und sie wollten den Wilhelm Tell geben. Es misslang. Burroughs wurde freigesprochen. Längst ist das alles Subkulturlegende.

Drogengeschichten und Cut-ups

So wie auch die Drogengeschichten, die Burroughs sein Leben lang begleiteten. „Um meinem Ruf gerecht zu werden, muss ich wohl anfangen, meinen Tee aus einem Schädel zu trinken, das ist das einzige Laster, das mir noch bleibt“, schreibt Burroughs im Jahr 1959 an seine Mutter, nachzulesen in der Briefsammlung „Radiert die Worte aus“, die in diesen Tagen erschienen ist (Nagel & Kimche, 299 Seiten, 19,90 Euro).

Bei all dem Personenkult gerät längst in Vergessenheit, dass die Schreibweisen, die die Beatniks entwickelten, immer noch ebenso viel Aufmerksamkeit verdienen wie ihre Lebensweisen. Am deutlichsten zeigt sich das an Cut-up, der Montagetechnik, die Burroughs gemeinsam mit Brion Gysin erfand. Sie zerschnitten Textfetzen aus Zeitungen, Büchern oder Gesetzestexten und collagierten sie. „Er verwendete Cut-up, um die verborgene Bedeutung der Dinge hervortreten zu lassen“, schreibt Herausgeber Bill Morgan im Vorwort zur Briefsammlung.

Bereits bevor der Poststrukturalismus an den Unis seine große Zeit hatte, war Burroughs ein guter Dekonstrukteur. In den Briefwechseln bezeichnet er schon „Naked Lunch“ als Cut-up-Roman. Er habe ihn geschrieben, bevor er die Methode wirklich kannte.

Die Energie dieser Sprache konnte einen noch als aufbegehrender junger Mensch, der in der alten Bundesrepublik und in den Wendejahren sozialisiert wurde, erwischen. Für mich glichen die Texte Burroughs’ jenem „Kopfkino“, von dem der Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann einmal sprach. Burroughs schmiss seinen Projektor, die Schreibmaschine, an, und ein unglaubliches Gewirr an Wörtern entstand, meist ohne Handlungsstrang, kaum verständlich.

„Jeder Schreiber […] hat einen Film im Kopf und transkribiert diesen Film“, sagte Burroughs 1982 in einem Interview. Der Streifen, den man sah, war Splatter, war Porno, war ein Kriegsfilm. Gleichzeitig schienen diese Texte – mit jenen Mitteln – den unbedingten Willen in sich zu tragen, der Härte der Realität gerecht zu werden. Und einen Widerwillen, sie so zu akzeptieren, wie sie war.

Prinzip der Überschreitung

Diese Buchstabenfilme bestachen durch rasantes Erzähltempo, durch einen drastischen Erzählstil. Allein diese ganzen Reihungen und Aufzählungen! Sie wurden nicht ermüdend, weil die Sprache so kraftvoll war. Die Endzeitstadt namens Interzone, die Burroughs in „Naked Lunch“ entwirft, übte etwa einen ungeheuren sprachlichen Sog aus.

Dabei ging es gar nicht darum, diese Hölle tatsächlich zu „verstehen“. Die Faszination hatte vielmehr etwas mit Überschreitung zu tun. Kam man auf den Trip, ließ Burroughs einen nicht wieder los. (So wie Burroughs selbst die Drogen, die er ausgiebig konsumierte, ja auch nie losgelassen haben.) Um die 20 Jahre alt, als ich Burroughs erstmals las, war dies die Antithese zu einer Sozialisation in Westdeutschland, wo mir das Leben unendlich langsam, zäh und genormt erschien.

Eine Reise durch jene fiktive Interzone klang so: „Küchengerüche aus aller Herren Länder hängen über der Stadt, ein Hauch von Opium und Haschisch, die roten harzigen Schwaden von Yagé, es riecht nach Dschungel und Salzwasser und dem fauligen Fluss und getrockneten Exkrementen und Schweiß und Genitalien. Flöten aus dem Hochland, Jazz und Bebop, einsaitige mongolische Instrumente, Zigeunerxylophone, afrikanische Trommeln, arabische Dudelsäcke […] Albinos blinzeln in der Sonne. Jungs sitzen in den Bäumen und masturbieren träge vor sich hin.“ Ein Bewusstseinsstrom, der durch die Interzone fließt. Oder eben: Kopfkino, das einen an diesen fiesen Ort führte.

„Naked Lunch“, das Jahre später von David Cronenberg tatsächlich verfilmt wurde, wurde 1959 zunächst nur in Frankreich veröffentlicht, in den USA landete der Roman auf dem Index. Das Werk sei „ein widerlicher Gifthauch ununterbrochener Perversion, literarischer Abschaum“, hieß es im Gerichtsurteil. In „Naked Lunch“ kumulieren einige von Burroughs’ großen Themen: Machtverhältnisse, sexuelle Normen, Steuerung und Kontrolle.

Indexiert und geliebt

Das Gericht hatte im Übrigen gar nicht mal so unrecht: Tatsächlich geht es in „Naked Lunch“ um Perversion. Nur war es Mitte des 20. Jahrhunderts überfällig, genauso zu schreiben, wie Burroughs dies postulierte. Zwar ist es Zufall, dass er 1914 geboren wurde, im Jahr des Ersten Krieges, dem Beginn eines Jahrhunderts der Massenvernichtungen. In jedem Fall aber spiegeln Texte wie „Naked Lunch“ oder „The Soft Machine“ (1961) die Folgen der Urkatastrophe, wie der US-amerikanische Historiker George F. Kemann den Ersten Weltkrieg bezeichnete, mit jedem Fragment, mit jedem Fetzen wider.

Burroughs seziert das 20. Jahrhundert als Zeitalter der Gifte und der Substanzen; und er versucht, zwischen all seinen Motiven Links zu setzen, wie wir heute sagen würden. Passagen aus „Naked Lunch“ verdeutlichen dies: „Die Gier nach C [Kokain] hält nur ein paar Stunden an, solange die C-Synapsen stimuliert sind. Dann vergisst man es. Eukodol ist wie eine Kombination von C und Morphin. Auf die Deutschen ist schon Verlass, wenn es darum geht, ein wirklich übles Zeug zusammenzubrauen.“

Burroughs wird weiterhin gebraucht. Sei es als Infragesteller aller gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten in der spätjugendlichen Selbstfindungsphase oder sei es als literarischer Punk, dessen Werk auch aktuelle Schreibweisen noch immer beeinflussen kann. Die ständige Jagd nach den körperlichen Kicks, die seinen Ausdruck in der Suche nach den wirksamsten Drogen (auch etwa in dem Roman „Auf der Suche nach Yagé“) und den befriedigendsten sexuellen Praktiken fand, war ohnehin reizvoll, wenn man um die 20, einigermaßen prüde und bürgerlich sozialisiert worden war und nun solche Schriftsteller entdeckte.

Bei all der Faszination blieb aber stets auch das Befremden. Denn selbst wenn man noch so viel von ihm gelesen hatte, wusste man nicht, wer der Autor hinter diesen Texten eigentlich war. Vielleicht erzählt Burroughs, der 1997 in Kansas an einem Herzinfarkt starb, in seinem Werk und Wirken am Ende auch davon: von der Unmöglichkeit, eindeutige Biografien zu erzählen.

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