: „Holzhackerrede“
■ Frauenbeauftragte wurde 60 / Bürgermeister sprach
Was eigentlich denkt Bremens oberster Mann, Bürgermeister Klaus Wedemeier, über Bremens oberste Frau, die Landesfrauenbeauftragte Ursula Kerstein? Gestern gab er seinen diesbezüglichen Gedanken öffentlich Ausdruck — in einer, wenn auch nicht selbstgeschriebenen, Rede. Der Anlaß: Ursula Kerstein, seit neun Jahren Leiterin der Gleichstellungsstelle, feierte ihren 60. Geburtstag.
hier bitte das
Foto von der Frau
Ursula Kerstein
Im Kaminsaal des Rathauses waren zum Anstoßen versammelt: Frauenforscherinnen, weibliche Abgeordnete, Frauenreferentinnen, Gewerkschaftsfunktionärinnen. Was nun hatte den Bürgermeister (47) an der gestandenen Parteigenossin Ursula Kerstein (60) und ihrer politischen Biographie am meisten beeindruckt? Daß sie es abgelehnt hatte, Senatorin zu werden, um ihrer stillen Arbeit an der Gleichstellung der Geschlechter treu zu bleiben? Daß sie sich für einen humaneren Umgang mit den Opfern von Vergewaltigungen eingesetzt hatte? Für in Schulbüchern diskriminierte Mädchen, für im öffentlichen Dienst nicht-eingestellte Bewerberinnen? Daß sie sich nicht zu schade war, jede Woche an Senatssitzungen teilzunehmen, um dem Genossen Bürgermeister das Gedankengut der Frauenbewegung näherzubringen?
Nein, unseren Bürgermeister hatte etws ganz anderes beeindruckt: Er stellte in den Mittelpunkt seiner Ansprache zwei Anekdoten, die illustrierten, daß es sich bei Bremens oberster Frau um ein ohne männliche Hilfe völlig aufgeschmissenes, „unpraktisches“ Wesen, eben um eine Frau, handelt: Mußte der Bürgermeister selbst ihr damals in ihrer gemeinsamen Abgeordnetenzeit beibringen, wie DIN-A4-Blätter gelocht werden. Und — stellen Sie sich vor — vor zwanzig Jahren hat Ursuala Kerstein, die „ungeschickte Barkeeperin“, die legendäre „Lila Eule“, einen Meter unter Wasser gesetzt. Ja, sowas vergißt ein Mann wie Klaus Wedemeier nie. War da noch was? Ach ja. Ursula Kerstein hat ein Herz für „den Verurteilten“ (Arbeit in der Straffälligen-Betreuung), für „das Kind“ (den ersten Kinderladen Bremens begründet), für „Alte, Schwache, Benachteiligte“ und „für die vielerorts weiter benachteiligten Frauen“ (neun Jahre Gleichstellungsstelle). Ein Herz hat die unpraktische Ursula Kerstein als richtige Frau natürlich auch für die vielerorts bevorteilten Männer. Wedemeier: „Jeder hat das Gefühl, von Dir zutiefst verstanden zu werden. Du verkörperst die menschliche Mitte.“
Und wie dachten die anstoßenden Damen hernach von ihrem Bürgermeister? „Eine Holzhackerrede“, kommentierte eine erste verärgert. „Die Rede zeigt nur seinen beschränkten Geist“, tuschelte die zweite und machte sich von dannen. bd
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