: Holz oder doch lieber Asphalt?
■ Impressionen vom Hamburger Leistungskegeln Von Rainer Schäfer
Wenn rauhe Männerkehlen im Sekundenrhythmus monoton „Holz!“ brüllen, fühlt Manfred Beneke sich wohl. Dann schiebt er elegant und ohne Zaudern die Kugel über die Kegelbahn. 1.541 Holz(vulgo: Punkte) in 200 Würfen legte Sport-Kegler Beneke vom Bundesligisten Hamburg 46 am Sonnabend in der Norderstedter Kegelsport-Halle vor: Eine verheißungsvolle Ouvertüre gegen Fortuna Kiel.
Kegeln sei ein gefährlicher Sport, wird kolportiert. „Da hat man am nächsten Tag garantiert Kopfschmerzen“, heißt es, wenn wieder einmal das Bild des schwammigen, biertrinkenden Kegelbruders beschworen wird, der rauschselig am Abend seine 20 Wurf auf die Bahn legt. „Das hat mit dem Sport-Kegeln überhaupt nichts zu tun.“ Gelassen begegnet der 47jährige Beneke dem gängigen Klischee vom Kegeln als typischem Kneipensport: „Hobby-Kegeln hat eine gewisse gesellschaftliche Bedeutung, unser Kegeln eine sportliche. Ich kann jedem Spötter nur empfehlen, mal auf Leistung zu spielen.“ Was bedeutet, bei 200 Würfen einen Durchschnitt von sieben Holz zu erreichen, wie er in der Bundesliga gang und gäbe ist.
Der Kegel-Sport-Klub Hamburg 46 ist der einzige Hamburger Vertreter in der Männer-Bundesliga. Seit 1986 „schieben“ die Orange-Weißen in der höchsten Spielklasse. Bei den Frauen kegeln der KSK Ahoi und Mohnhof/Concordia Bergedorf bundesligareif. Grundsätzlich wird in Norddeutschland Bohle gekegelt. Die Kegelarten Asphalt, Schere und Bowling werden nach Bahnarten und Regelwerk unterschieden. Das Reglement im Bohle-Kegeln sieht vor, daß die sechs Spieler eines Teams die knapp sieben Pfund schwere Kugel jeweils 200 Mal über die Holzbahn schicken.
Auf den ersten Blick scheint Bohle-Kegeln ein leichtes Unterfangen zu sein. Aber ein sogenannter „Gassenzwang“ schreibt vor, ob die Kugel links oder rechts im Kegelkranz einschlagen muß. Wird der „Gassenzwang“ mißachtet, verhängt der in freundlichem Weiß gedresste Unparteiische Punktabzug wegen eines „technischen Pudels“. „Die Kunst beim Sport-Kegeln ist, den richtigen Wurf zu finden und zu halten“, weiß Beneke, „das erfordert Gefühl und vor allem Konzentration.“ Die größtmögliche Unbill ereilt den wackeren Sport-Kegler, wenn die Kugel in die „Pudelrinne“ abgeht: Ein äußerst seltener Vorgang in der Bundesliga. Um dem vorzubeugen, ist es wichtig, eine Bahn „lesen“ zu können: „Man benötigt ein fotografisches Gedächtnis für den Lauf der Bohle.“
Sport-Kegeln ist eine Randsportart, ein zumeist von nur wenigen Insidern beäugtes Treiben. Und eines, das befremdlich auf einen Unbedarften wirken kann, sofern er nicht mit den Regel-Ritualen vertraut ist: Man wähnt sich bisweilen bei einer Urschrei-Therapie. Der Reiz für das Publikum liegt in einer möglichst ausgeglichenen Partie: „Wir haben auch schon mal mit einem Holz Unterschied verloren. Das war Dramatik pur bis zur letzten Sekunde“, versichert Mannschaftsführer Dieter Borchers.
Die Frauen des KSK Ahoi holten 1993 und 1994 die Deutsche Meisterschaft. Größere öffentliche Resonanz blieb dennoch aus, was nicht verwundert bei dieser unpopulären Sportart. Ärgerlich werden die Kegel-Frauen, wenn ihnen Häme entgegenschlägt – wie von Willi Lemke. „Wir sind doch kein Damen-Kegel-Klub“, wollte der Manager vom Fußballbundesligisten Werder Bremen den Unterschied zwischen seriösem und unseriösem Leistungssport verdeutlichen. „Wir haben es immerhin geschafft, zweimal hintereinander Deutscher Meister zu werden“, kontert Ahoi-Sport-Wartin Gisela Brem. Der Zeitaufwand in der Bohle-Bundesliga ist enorm, Geld nicht zu verdienen: „Wir zahlen drauf“, bilanziert Frau Brem.
Ausgelassenheit herrschte dagegen in Norderstedt: Mit 9.266 zu 9.201 gewannen die Hamburger Kegler gegen die starken Kieler. 65 Holz Differenz in dreieinhalb Stunden. Gut geschoben. Auch die Kieler zogen zufrieden von dannen: „Endlich mal 'ne Bahn, wo Holz gefallen ist“, stießen heisere Kehlen freudig hervor.
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