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Holiday-Heart-SyndromWenn es in der Brust wummert

Das Leben junger Menschen ist durchgetaktet, unbeständig, hektisch. Manchmal macht das Herz schlapp: Vorhofflimmern. Das kann von zu viel Feierei kommen.

Hektisch, laut und dann noch bewusstseinsverändernde Substanzen wie Alkohol: das kann zu Herzproblemen führen. Bild: sookie | CC-BY

Wie hätte es auch anders sein sollen. In Venedig, der Stadt der Liebe, wo Pärchen Händchen halten und Gondoliere Verliebte besingen, schlug Benjamin Steins* Herz so schnell wie noch nie. Dreimal schneller als normal. 180 Schläge die Minute.

Nachts wie tags. Kraftlos schleppte er sich über die Brücken, nachts wälzte er sich herum. Schlief nicht. Selbst wenn er sich im Bett nicht rührte, boxte sein Herz so heftig gegen seinen Rippen, dass seine Freundin neben ihm aus dem Schlaf schreckte. Nach zehn Tagen Urlaub war klar: An der Herz-OP, zu der ihm sein Arzt dringend geraten hatte, führte kein Weg mehr vorbei.

Benjamin Stein, 32, leidet am Holiday-Heart-Syndrom, einer besonderen Form der Herzrhythmusstörung, an der vor allem junge Männer leiden. Er ist ein schlanker, sportlicher Typ, wird selten krank. Doch der Muskel in seiner Brust kontrahiert ungleichmäßig, von einer Sekunde auf die andere kann sich Steins Herzschlag verdreifachen. Er rast dann hoch auf 180 Schläge die Minute, dann fällt er zurück auf den Ruhepuls. Wie ein epileptischer Anfall im Herz sei das, sagt Stein. "Es fühlt sich an, als würde dir jemand von innen ohne Rhythmusgefühl gegen den Brustkorb trommeln." Die Herzrhythmusstörungen treten meist auf, wenn er an den Wochenenden oder im Urlaub über die Stränge geschlagen hat. Kurze Zeit später schreckt er nachts auf und hört es pumpen in seiner Brust, als würde er sprinten.

Bild: taz

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Holiday-Heart-Syndrom

Der Entdecker: 1978 fiel einem Arzt in Großbritannien das erste Mal auf, dass besonders nach Feiertagen oder Wochenenden junge Männer mit Herzrhythmusstörungen in seiner Notaufnahme auftauchten. Alle hatten sie gefeiert, getrunken, geraucht. Mitten in der Nacht waren dann ihre Herzen aus dem Takt geraten. Holiday-Heart-Syndrom nannte der Arzt das Phänomen deswegen.

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Die Zahlen: Vorhofflimmern ist die häufigste Herzerkrankung älterer Menschen. Etwa 12 Prozent aller 65-Jährigen in Deutschland leiden daran, bei über 85-Jährigen sind es sogar 20 Prozent. In jüngeren Jahren erwischt es gerade mal einen von 10.000 Menschen.

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Der Eingriff: Bei einer Herzrhythmusstörung wird ein Schnitt an der Leiste gesetzt. Dann wird ein Katheter über die Leiste in einer Vene bis in den linken Herzvorhof geschoben, um dort Herzgewebe, das die Rhythmusstörung verursacht, zu veröden.

Studium, Auslandsaufenthalte, Praktika

Vielleicht passt kaum eine Krankheit so gut in unsere Zeit wie diese. Das Leben junger Menschen ist durchgetaktet, unbeständig, hektisch. Sie hetzen durchs Studium, durch Auslandsaufenthalte, durch Praktika. An den Wochenenden tauchen sie ab, zappeln auf Tanzflächen, stehen in Bars, um dem durchgestylten Lebensplan für ein paar Stunden zu entfliehen. So arhythmisch das Herz Benjamin Steins schlägt, so rastlos ist sein Leben.

Genau genommen ist das Holiday-Heart-Syndrom keine eigenständige Krankheit. Mediziner sprechen bei dem, was mit Benjamin Steins Herz passiert, von Vorhofflimmern – mit der Besonderheit, dass Menschen an ihr erkranken, die dafür eigentlich viel zu jung sind. Eigentlich dürfte es das Holiday-Heart Syndrom gar nicht geben. Denn das Herz junger Männer ist ein robuster Muskel, der auch extremen Belastungen spielend standhalten sollte. Wenn das Herz anfängt zu stottern, dann meist später.

Alkohol könnte ein Auslöser sein

Dort, wo das Herz des Berliner Nachlebens schlägt, im Bezirk Mitte, interpretiert Alexander Wutzler die Sinuskurven seiner Patienten. Wurtzler ist Kardiologe am Virchow-Klinikum der Berliner Charité, das auf Herzrhythmusstörungen spezialisiert ist. Er hat auch Benjamin Stein behandelt. "Vorhofflimmern, wie bei ihm", sagt er, "ist für sein Alter völlig untypisch und nicht durch eine gewöhnliche Herz- oder Schilddrüsenerkrankung erklärbar." Die Forschung stehe noch am Anfang, aber Studien lassen vermuten, dass Alkohol ein Auslöser für die Beschwerden ist. Die tatsächliche Ursache für das Vorhofflimmern könne er aber nicht sein. Man kenne sie noch nicht genau, sagt Wutzler. "Aber zum Glück wissen wir, wie wir die Herzrhythmusstörungen behandeln können." Richtig gefährlich ist allerdings nicht das Vorhofflimmern selbst, sondern seine Langzeitfolgen. Die Herzkrankheit erhöht die Gefahr eines Schlaganfalls im Alter. Und sie schränkt Betroffene ein.

Benjamin Stein ist bisher immer vorwärts geprescht. Auf das Studium folgte der Doktortitel, darauf direkt eine Anstellung als politischer Berater. Von seinem Bürofenster aus blickt er auf das Brandenburger Tor. Für ein Herzleiden ist eigentlich kein Platz in seinem Leben. Vor allem für keines, dessen Diagnose Jahre in Anspruch nimmt.

"Es begann im ersten Semester nach einer Party"

"Es begann im ersten Semester nach einer Party", sagt Stein. Zwei Bier zu viel getrunken, zwei Joints zu viel geraucht. Auf dem Weg nach Hause schlug der Beat der Party in seiner Brust weiter.

Weder er noch die Ärzte nahmen das sofort ernst. Er war 22 Jahre alt. Wer vermutet schon bei einem so jungen Kerl Vorhofflimmern? Stein besuchte mehrere Herz-Spezialisten. Ungefährlich, beruhigten ihn die meisten. Doch dann verliefen die Störungen immer unrhythmischer. Immer öfter tickte sein Herz aus, manchmal mehrere Tage am Stück. "Da bekam ich Panik", sagt Stein. Weil auch seine Freundin sich immer mehr sorgte, versuchte er die Attacken vor ihr zu verbergen. "Lange dachte ich, ich kann das kontrollieren. Du denkst, es liegt am Rotwein, also trinkst du keinen Rotwein mehr. Dann keinen Kaffee, dann verzichtest du auf bestimmte Nahrungsmittel, am Ende sogar auf Kräutertee." Aber nichts half.

Er besuchte Infoveranstaltungen, auf denen er der Einzige ohne graue Haare war. Die Ärzte statteten ihn mit Langzeit-EKG aus. Um den Ärzten endlich etwas vorweisen zu können, ging er irgendwann mit seinen Freunden und dem EKG in der Tasche aus. "Ich sagte, Leute, ihr müsst mir helfen, trinkt mit mir." Auf dem Nachhauseweg ging es dann los. "Mission accomplished", dachte Stein.

Freude über das Flimmern

Zum ersten Mal freute er sich über das Flimmern. Endlich konnte sein Kardiologe eine Diagnose stellen. "Als der sagte, was es war, war ich wirklich erleichtert", sagt Stein. Trotzdem drückte er sich vor dem Eingriff.

Dann kam Venedig und noch schlimmer, eine Hand-Operation. Die hatte er sich beim Snowboarden gebrochen. Ein kleiner Eingriff, eine Metallplatte unter die Haut. Doch als er danach aufwachte, lag er auf der Intensivstation. Während der Operation hatte sein Herz verrücktgespielt. Die Schwankungen waren so extrem, dass die Apparate Herzstillstand anzeigten und die Ärzte in Panik gerieten. "Als ich da raus war", erinnert sich Stein, "packte ich meine Koffer und checkte in der Herzklinik ein." Das war im Frühjahr dieses Jahres.

Die OP lief nach Plan. Nun liege die Chance, dass er geheilt sei bei 80 Prozent, sagen die Ärzte. Vor ein paar Tagen hätte er einen Termin zur Nachuntersuchung gehabt. Benjamin Stein hat ihn vergessen. Denn geflimmert hat sein Herz schon länger nicht mehr.

*Name geändert

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7 Kommentare

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  • Hallo leute,

    Ich heiße andy 22 Jahre alt

     

    Vor 2 Wochen hat mich mein kumpel auf mein eigenen wunsch ins Krankenhaus gefahren weil ich von Einen auf den anderen moment ein schnerzhaftes stechen in der brust hatte sehr hohen puls und ein Blutdruck von 180 zu 150

    Ich wurde eine nacht auf die ITS verlegt zur Überwachung. Am nächsten Tag ging es mir besser und in meiner Diagnose wurde auch das holliday heart syndrom erwähnt im Krankenhaus wurde mir nicht mal gesagt was das ist und zu hause habe ich mich erstmal informiert und war sehr erschrocken.

    Jetzt bin ich auf diesen Artikel gestoßen und alles trifft haargenau auf mich zu.

    Natürlich habe ich jetzt bedenken das es auch ausbrechen kann. Wie geht ihr betroffenen damit um? Vg andy

  • F
    Furrer

    Beeindruckendes Lebens-Vorbild. Den jugendlichen Fun bezahlt das Volk mit Steuergeldern und Krankenkassenbeiträgen. Was kann man von solch einem sog. politischen Berater eigentlich ernsthaft erwarten? Ich empfehle ihm, sich selbst mal fürs erwachsen werden beraten zu lassen.

  • L
    löwenherz

    und keine silbe über mögliche psychische mit-auslöser! nur allgemeine verortungen, wie "durchgetaktetes leben". war schon ein guter erklärungsansatz! und weiter? was sagt denn die heilige ärzteschaft dazu? na, die arbeitet in krankenhäusern i. d. r. unter genau den gleichen abartigen bedingungen und hilft sich nicht selten selbst mit wachmachern aller art. da bleibt ein tabu unberührt. schade.

     

     

    also, weiter wie bisher: der menschliche körper ist ja eine seelenlose maschine. dieser kranke glaube an die allwissenheit der schulmedizin hat auch schon manche krank gelassen - und krank gemacht.

  • E
    Eisvogel

    ...nichts neues, junge Leute (und in höchstem Masse junge Frauen) werden oft nicht ernst genommen wenn Ihnen das Herz stockt, stoplert oder rast, denn "Herzprobleme sind was für alte Männer".

  • S
    stimmviech

    Ich kenne das Phänomen seit meiner Kindheit, die Ärzte haben mich regelmäßig als eingebildeten Kranken abgetan. Heute bin ich 50, habe nicht zuletzt durch diese Erfahrung eine absolute Skepsis gegen die Schulmedizin entwickelt.

    Die Lösung für diese Herzkrankheit war zumindest bei mir recht einfach: Kaffee Tee und Cola weglassen und dann immer mal wieder Kuren mit hohen Magnesiumgaben ( bis 1 g am Tag) machen. In den letzten Jahren hatte ich kaum Anfälle, bei den wenigen half dann die Massage des Halses. Meidet Ärzte, die haben keine Ahnung und wollen nur Geld und Renommee.

    • @stimmviech:

      Leider gibt es keine abgesicherten Studie, dass ihre „Lösung“ wirklich kausal für die Besserungen war. Immerhin – dass Coffein für Herzkranke problematisch ist, weiß man ja schon lange. Aber ihre Hinweise kann jeder mal ausprobieren, schaden kann es nicht.

  • N
    nelli

    danke taz für diesen artikel!

     

    jetzt weiß ich endlich, woran ich wahrscheinlich auch seit mehreren jahren leide, mir die ärzt/innen aber nicht glauben und sagen, ich sei gesund, obwohl mein herz exakt genauso wummert wie in dem artikel beschrieben.

     

    das holiday heart syndrom war mir aber bisher unbekannt.