Holbrooke, Dayton und Srebrenica: Der ultimative Diplomat
Er wirkte wesentlich an einer Friedenslösung für Ex-Jugoslawien mit. Bei der Verfassung Bosniens unterliefen ihm Fehler. Und ob er Srebrenica geschehen ließ, weiß man nicht.
SARAJEVO taz | Gern hat er sich damals nach 1994, als er zum Sondergesandten seiner Regierung in Europa und auf dem Balkan wurde, nicht in der Öffentlichkeit gezeigt. Die Pressekonferenzen waren rar. Richard Holbrooke machte im Februar 1995 in Zagreb einen überlegten, freundlichen und doch entschlossenen Eindruck. Die Erwartungen an ihn waren groß, die Lage in Bosnien und Herzegowina war verfahren. Nach der serbischen Offensive von 1992 hatte sich die Lage der Verteidiger Sarajevos 1994 zwar etwas stabilisiert, doch die vor allem von Frankreich und Großbritannien betriebene Politik des Waffenembargos begünstigte weiterhin die Angreifer. Nur die USA konnten an diesem Zustand etwas ändern. Deshalb richteten sich alle Hoffnungen auf Richard Holbrooke. Würden die USA endlich militärisch eingreifen, um diesen fürchterlichen Krieg zu beenden?
Immerhin war es den Amerikanern und Deutschen im März 1994 gelungen, die kroatische Aggression gegen Bosnien zu stoppen. Holbrooke entwickelte eine Pendeldiplomatie, besuchte alle am Konflikt beteiligten Politiker, fand starke Worte gegenüber Slobodan Milosevic, legte sich das Image eines Bulldozers zu, aber der Krieg ging weiter.
Erst nach dem Massenmord in Srebrenica im Juli 1995, bei dem über 8.000 Menschen von serbischen Truppen ermordet wurden, kam es zum Schwenk. Holbrooke drängte Präsident Clinton dazu, militärisch einzugreifen, ohne Rücksicht auf die sich nach wie vor sträubenden Briten und Franzosen. Kroatien bekam im August grünes Licht für seine Offensive gegen die serbischen Armeen im eigenen Land, im September half die Nato den bosnischen Regierungstruppen, Teile Bosnien und Herzegowinas zurückzuerobern, stoppte aber die Offensive, als sie die Hälfte des Landes zurückerobert hatten. Die Konturen eines Friedensvertrags zeichneten sich da schon ab. Holbrooke tauchte in Sarajevo auf und erklärte, er lade alle Beteiligten in den Luftwaffenstützpunkt nach Dayton, Ohio zu einer Klausur ein. Das Treffen sollte erst beendet werden, nachdem ein Friedensvertrag zustande kam. Das Abkommen von Dayton am 21. November 1995 beendete den Krieg in Bosnien und Herzegowina, bestätigte aber gleichzeitig die serbischen Eroberungen. Die aus dem Vertrag hervorgehende Verfassung teilte das einstmals multinationale und multireligiöse Land in ethnisch-religiöse Zonen auf.
Ob Holbrooke den Massenmord in Srebrenica geschehen ließ, um dann Argumente für ein militärisches Eingreifen zu haben, wie ihm der Anwalt der Mütter von Srebrenica vorwirft, ist nicht bewiesen. Tatsache aber ist, dass Holbrooke in Dayton den Fehler beging, die neue Verfassung Bosniens als nicht reformierbar anzulegen. Bis heute leidet das Land darunter. Die Waffen schwiegen, aber die nationalistischen Extremisten wurden belohnt.
Diesen Umstand bemerkten auch die Kosovoalbaner, die 1996 den bewaffneten Kampf gegen die serbische Herrschaft aufnahmen. Wieder war Holbrooke vor Ort, wieder verhandelte er mit Milosevic. Doch die nach dem Vorbild Daytons unter seiner Beteiligung angelegten Verhandlungen in Rambouillet scheiterten im März 1999 trotz der Drohungen der Nato, Serbien militärisch anzugreifen. Was dann auch geschah. Kosovo wurde vor allem durch amerikanische Hilfe 2008 ein selbständiger Staat.
Richard Holbrooke hat auf dem Balkan der US-amerikanischen Politik ein Gesicht gegeben und im Gegensatz zu den Europäern dazu beigetragen, die Kriege zu beenden. Doch auch er hat zu lange gezögert, die Menschenrechte gegen die Aggressoren und Mörder zu verteidigen. Als der Berichterstatter ihn am 10. Jahrestag des Massakers in Srebrenica auf die Verfassung von Bosnien ansprach, räumte er Fehler ein und forderte ihre Korrektur. Da war er aber nicht mehr im Amt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter