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HokuspokusFurzkissen und alle Sorten Scheiße

Im Neuköllner Schillerkiez hat nach einigen Monaten Pause der Traditionsladen Zauberkönig für Scherzartikel und Zauberbedarf wiedereröffnet.

Ein moderner Magier bei der Arbeit. Bild: dpa

Eine der zahlreichen Schubladen, die sich die Soziologie ausgedacht hat, ist die Einteilung der Welt in kalte und warme Gesellschaften. Die kalten sind eher traditionelle, die warmen dynamische wie unsere. Während die Kinder in kalten Gesellschaften eher in die Fußstapfen der Väter treten, ziehen die in den warmen oft mit 18 zu Hause aus und wollen etwas werden, was sich so krass wie möglich vom Lebensentwurf der Eltern unterscheidet. Hätte sich am Samstagnachmittag ein Soziologe unter die Partygruppe gemischt, die die Wiedereröffnung des Traditionsladens Zauberkönig im Neuköllner Schillerkiez feierte , er wäre wahrscheinlich verwirrt gewesen.

Karen Goetzke ist gerade mal 26 Jahre alt, sie hat soeben ihr Studium der Kulturwissenschaft und Polonistik beendet und sich entschieden, mit ihrer Freundin, der gelernten Grafikerin Kirsi Hinze, nach einer mehrmonatigen Schließzeit den Familienbetrieb zu übernehmen. Es geht um den Zauberkönig in der Hermannstraße 84, der 1884 in der Friedrichstraße gegründet wurden, 1952 nach Neukölln zog, seit 1978 von ihrem Großvater Günter Klempke und seit 1998 von ihrer Tante Mona Schmidt betrieben wurde.

Die Freundinnen haben den kleinen, charmanten Laden zwischen einem Friedhof und einem Döner-Imbiss aufgeräumt, die Deko entschlackt, die Wände gestrichen und den Tresen verschlankt. Der „Charme des Alten“ aber, wie die beiden sagen, ist erhalten geblieben.

Aber auch Neues gibt es im Zauberladen. Noch während die Mutter Karen Goetzkes Luftballons aufbläst und einen Melonenigel mit Käsespießen vorm Laden drapiert, trifft sich schon jede Menge junges Partyvolk, das, wie Günter Klepke behauptet, er noch nie gesehen hat. Die Leute freuen sich, dass im Schaufenster eine goldene Vitrine steht: Der Inhalt – „alle Sorten Scheiße“ – ist mit einem Euro fünfzig erschwinglich.

Eine junge Frau, die aussieht, als wäre sie gerade aus dem Club gefallen, kauft Furzkissen und Knalleinlagen, die man zum Schrecken des Rauchers in Zigaretten dreht. Ein anderer lässt sich erklären, wozu man Zauberzubehör wie Seidentücher und präparierte Zylinder braucht – und wie man sich eine künstliche Schnittwunde ins Gesicht klebt, dass es möglichst echt aussieht. Eine Handvoll Kinder schaut staunend zu den Masken, zu den Katzenköpfen und Hexenfratzen, die unter der Decke hängen – und berühren ehrfürchtig die Ritter- und Prinzessinnenkostüme.

„Es war eine spontane Idee von uns, den Laden zu übernehmen“, sagt Karen Goetzke. „Wir mögen beide Quatsch“, fügt Kirsi Hinze an. Sie wollen den Zauberkönig künftig an fünf Tagen die Woche acht Stunden öffnen und abwechselnd im Laden stehen.

Sie wissen, was auf die zukommt: Beide haben keinerlei Erfahrung. Das Geld wird nicht reichen, sie werden zusätzlich arbeiten müssen. Das Geschäft mit der Pyrotechnik, das zu jedem Jahreswechsel eines der wirtschaftlichen Standbeine jedes Ladens für Zauber- und Scherzartikel war, kann heute jeder Aldi und Lidl besser. Auch Kostüme und Masken gibt es heute in jedem Woolworth.

Hinzu kommt der Standort: Der südliche Abschnitt der Hermannstraße ist geprägt von billig, billig und noch mehr billig, von Mobilfunk-Anbietern, Schultheiss-Kneipen und Leihhäusern. Karen Goetzke und Kirsi Hinze sind dennoch zuversichtlich. Schließlich haben sie die Familie. Auf die ist Verlass. Jeden Samstag wird Opa in den Laden kommen und den beiden das Zaubern beibringen.

Günter Klepke, der charismatische 82-Jährige mit dem schicken Nadelstreifenanzug und der ausgefallenen Krawatte, steht auf. Er wird nun wirklich tun, was er sein Leben lang am liebsten getan hat. Der gelernte Magier, der ursprünglich mal Jongleur werden wollte und bis heute eine wichtige Rolle beim Ortsverband der Zauberfreunde Berlin e. V. spielt, begibt sich in den Laden, stellt sich hinter den Tresen und beginnt, kleinen Kindern Münzen aus der Nase zu ziehen. Er lässt Karten verschwinden. Und als er anhebt, eine Geschichte aus Indien zu erzählen, die mit Stricken zu tun hat, aber immer wieder durcheinanderkommt, weil aus den vier Stricken plötzlich drei werden, dann zwei und schließlich einer, da liegt ihm das Publikum zu Füßen.

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