piwik no script img

Hohle Sprücheklopfer

■ Lichthof-Produktion „Brecht Ikea“ über das Wohnen

The home is where the heart is? – wer will das schon bestreiten? Diese Erkenntnis dient als Motto für die kurzweiligen 70 Minuten der neuen Lichthof-Produktion Brecht Ikea. Erste Inspirationsquelle für Regisseur Marcel Weinand ist Brechts Kleinbürgerhochzeit: Im erlesenen Kreis sitzt man beim Brautpaar zusammen, die Stimmung changiert zwischen aggressiv und völlig daneben. Schuld ist der Umstand, dass die selbst gezimmerten Möbel keineswegs für die Dauer einer Ehe gemacht sind, sondern im Verlauf des Katastrophenabends alle zu Bruch gehen. Auch die Umstände der Braut laden zu bissigen Bemerkungen ein.

Die Schande verfrühten Beischlafes im Jahre 1919 hat Regisseur Weinand vorsorglich ausgeklammert. Seine Braut (Lis Schüler) tut sich vor allem als Kleenex-Fetischistin hervor, die ihre Freizeit und unangenehme Situationen mit Putzen überbrückt. Mit dem Mobilar stimmt trotzdem nichts, und hier greift der zweite Teil des Titels: Auf der Bühne findet sich zwar allerlei Bekanntes aus dem Katalog, der eine höhere Auflage als die Bibel hat, Eindruck schindet das Ganze aber nur auf Distanz. Und während sich der Bräutigam (Thomas Dold) mit seinen Heimwerkerqualitäten brüstet, wissen spätestens alle dann Bescheid, wenn zum ers-ten Mal die Schranktür klemmt.

Weinands amüsantes Stück verbindet geistreich Brecht-Repliken mit Versatzstücken aus einschlägigen Wohnmagazinen. Ob im Feldwebelton gebellt oder dem gängigen Reklamegesäusel angepasst: In dieser Phraseologie haben die zu Typen geronnenen Figuren ihren einzigen Halt. Auf die Frage danach, was wohnen eigentlich genau ist, findet denn auch keiner so recht Antwort.

Besonders gelungen ist die Choreographie (Ines Dyszy): Zur Prime Time stellen sich die acht als Daily-Soap-Protagonisten vor und lassen keinen Zweifel an ihrer Austauschbarkeit. Anstelle von Menschen, die sich nach einem Zuhause sehnen, zeigt Brecht Ikea den zur Hülle verkommenen Sprücheklopfer. Mit Blick auf die wenig individuelle Wohnungsausstattung für Millionen Menschen bekommt die viel zitierte Verbindung von Persönlichkeit und Einrichtung so ganz neue Wertigkeit. Da ist es besonders betrüblich, dass einzig der Rollstuhlfahrer auf einem heilen Stuhl sitzt.

Liv Heidbüchel

weitere Vorstellungen: 9.-11. November, jeweils 20.15 Uhr, Lichthof, Mendelssohnstr. 15

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen