piwik no script img

GesellschaftHoffnungslosigkeitmildert das Strafmaß

Den Heilbronner Feierabendverkehr zu stören, kann hinter Gitter führen: Weil sie 20 Minuten Stau verursacht haben, wurden vier Ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation zu insgesamt 15 Monaten Gefängnis verurteilt – bislang Rekord für Strafen wegen Klimaprotest. Szenen aus einer denkwürdigen Verhandlung.

Die Angeklagten Daniel Eckert, Moritz Riedacher und Ulrike Ehrenberg (v.l.). Foto: Jens Volle

Von Gunter HaugWas geht eigentlich gerade ab im baden-württembergischen Unterland? Auf der einen Seite kann sich die Umweltbewegung über einen Erfolg freuen. Doch zwei Tage, nachdem mit Block 2 des Kraftwerks Neckarwestheim der letzte Atommeiler der Republik abgeschaltet worden ist, werden vier Ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation im zehn Kilometer entfernten Heilbronn zu insgesamt 15 Monaten Haft verurteilt.

Am 15. April 2023 hatten sie noch auf dem Parkplatz des Atomkraftwerks das Ende der Kernkraft in Deutschland gefeiert: ein wahrhaft historisches Datum. 500 Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen waren mit dabei – allerdings nur wenige Grüne. Die sind von den Bürgerinitiativen nicht als Red­ne­r:in­nen auf der Veranstaltungsbühne erwünscht gewesen: wegen Zustimmung zur Laufzeitverlängerung der AKWs im vergangenen Dezember.

Kontrollen, als ginge esum Bandenkriminalität

Ein gewaltiger Riss scheint inzwischen durch die Umweltbewegung zu gehen – und der zeigt sich an diesem Wochenende besonders deutlich. Denn auf dem Parkplatz von Neckarwestheimist noch so ein Satz der BUND-Landesvorsitzenden Sylvia Pilarsky-Grosch zu hören. Sieäußert klipp und klar, dass die Aktionen der Letzten Generation bei ihr auf keinerlei Verständnis stoßen. Auch Fridays for Future distanziertesich jüngst von den Straßenblockaden, da sie „die Gesellschaft spalten“ würden.

Und dann dieser nebelverhangene kalte Antifrühlingstag in Heilbronn. 33 Stunden und eine Minute, nachdem Block 2 in Neckarwestheim endgültig abgeschaltet worden ist, beginnt der Prozess gegen vier Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation vor dem Amtsgericht in Heilbronn. Vorgeworfen wird, Anfang März für 20 Minuten Stau im Heilbronner Feierabendverkehr gesorgt haben. Das Strafmaß, das die Ak­ti­vis­t:in­nen dafür erwartet, beträgt insgesamt 15 Monate Gefängnis. Ausgehandelt wurde dieses Urteil im Rahmen eines sogenannten„beschleunigten Verfahrens“, einem Modellprojekt der grün-schwarzen Landesregierung von Baden-Württemberg, damit laut Aussage der Justizministerin „die Strafe auf dem Fuß“ folgen kann und künftige Täter abgeschreckt werden.

Vor Verhandlungsbeginn gibt es von der Richterin angeordnete strenge Personenkontrollen (noch nicht einmal auf dem Flughafen wird man derart gründlich abgetastet). Das erinnert an dieAussagen mancher Politiker:innen, die sich zuBezeichnungen wie „Klimaterroristen“ haben hinreißen lassen.

Vor Gericht stehen an diesem Montag: Daniel Eckert, 22 Jahre, Student; Ulrike Ehrenberg, Palliativpflegerin, 56 Jahre; Rüdiger Einholz, ausgebildeter Altenpfleger, 37 Jahre, undMoritz Riedacher, Student, 26 Jahre alt. Die vier sind angeklagt worden, sich unmittelbarim Anschluss an eine Verurteilung wegen einer Straßenblockade am 6. März sofort wieder aufdie Straße gesetzt und blockiert zu haben. „Aus Unmut“ über die damalige Verurteilung, wie dieStaatsanwältin ausführt. Das sei verwerflich, genauso verwerflich wie der Tatbestand einerNötigung, derer man sich qua Erzeugung des Staus zulasten friedlicher Autofahrer schuldig gemacht habe.

Und dann geht es – obwohl alle Angeklagten von Anfang an geständig sind – stundenlang um Detailfragen: War der im Nachmittagsverkehr erzeugte Rückstau nun einen Kilometer oder doch sogar 1,5 Kilometer lang? Hat der Stau eine Stunde gedauert oder doch nur 20 Minuten? Wer von den Angeklagten hatte einen Klebestift in der Hand und wer nicht? Waren die Angeklagten renitent oder haben sie sich – bis aufs Weggetragen-Werden – den Anordnungen der Polizei gefügt? Haben sie, sagen alle fünf als Zeugen geladenen Polizisten.

„Wir sind der Feueralarm!“

Es wird diskutiert, ob man von Nötigung sprechen kann, wenn uns die Klimakrise zu überrollen droht – oder ist das nicht vielmehr eine Notstandsrechtfertigung, so zu handeln, wie die Angeklagten gehandelt haben? Aber: Was soll denn das Blockieren von Straßen letztendlich bringen? Anscheinend nichts, meint einer der Angeklagten, der sich inzwischen von der Letzten Generation zurückgezogen hat. Der Klimawandel sei offensichtlich nicht mehr zu stoppen, glaubt er, und er selbst sei deshalb in eine schwere Klimadepression verfallen. Eine Aussage, die ihm am Ende die Bewährung auf drei Monate Haft einbringen wird – als einzigem unter den Angeklagten.

Die anderen drei wollen sich nicht fügen. Schließlich säßen die echten Gesetzesbrecher nicht in Heilbronn auf der Straße, sondern in der Bundesregierung in Berlin. Nachdem das Bundesverfassungsgericht das Klimaschutzgesetz des Bundes als nicht verfassungsgemäß verworfen und der Deutsche Klimarat die Regierung dringend zum Handeln aufgerufen habe, könne von Nötigung keine Rede sein. „Wir sind der Feueralarm!“, sagen sie. Und wie weiland Fidel Castro vor dem Tribunal in Havanna: „Die Geschichte wird uns recht geben!“

Weder Richterin noch Staatsanwältin zeigen sich davon beeindruckt. „Nötigung ist verwerflich – und eine Straßenblockade ist Nötigung“, darauf beharrt die Staatsanwältin.

„Wir würden sofort aufhören mit unseren Aktionen, auch in Heilbronn, wenn ein ehrlicher Dialog zustande käme“, betonen sie. Will heißen: Solche Vereinbarungen wie etwa in Hannover und Tübingen wären auch in Heilbronn möglich. Dort setzten sich die Oberbürgermeister in einem Schreiben an den Bundeskanzler für das 9-Euro-Ticket ein, für Tempo 100 auf den Autobahnen, für einen besseren öffentlichen Nahverkehr, für einen Bürgerrat zur klimapolitischen Entscheidungsfindung – und schon wäre es gut.

Das gesungene Schlusswort kam nicht so gut an

Auch in Heilbronn hat sich Oberbürgermeister Harry Mergel (SPD) mit Ver­tre­te­r:in­nen der Letzten Generation zu einem Gespräch zusammengesetzt. Er will sich aber „nicht erpressen lassen“ Folglich wird es weitergehen mit den Blockaden. „Mir wäre es auch lieber, nicht ins Gefängnis zu müssen. Aber wenn es eben nicht anders geht, dann muss es offensichtlich halt sein“, meint Daniel Eckert. Und so fordert die Staatsanwältin für ihn als „Wiederholungstäter“ sogar acht Monate Gefängnis.

„Was macht das mit einem Menschen, Frau Staatsanwältin, wenn Sie acht Monate Gefängnis fordern, während Vergewaltiger und Steuerbetrüger dagegen auf Bewährung freikommen?“, fragt die Verteidigung. Wo bleibt hier die Verhältnismäßigkeit? Wie ein Menetekel schwingt diese Frage plötzlich durch den Raum, und sogar die überstreng agierende Richterin scheint kurzzeitig beeindruckt.

Doch dann singt Moritz Riedacher anstelle eines „letzten Wortes“ den amerikanischen Kult-Protestsong der Bürgerbewegung: „Have you been to jail for justice?“ Zwei, drei Zu­schaue­r:in­nen haben wohl leise mitgesummt. Und das lässt nunmehr die Richterin explodieren: komplette Räumung des Saals, die Öffentlichkeit wird ausgeschlossen – bis auf ein paar nicht mitsummende Journalist:innen. Die Staatsanwältin fordert 150 Euro Geldstrafe gegen Riedacher wegen ungebührlichen Verhaltens vor Gericht, die Vorsitzende stimmt zu, dann folgt das Urteil nach neun Stunden Verhandlung: fünf Monate Haft plus die bereits bestehenden drei aus dem ersten Verfahren für Daniel Eckert, das macht insgesamt acht Monate Gefängnis. Drei Monate für Ulrike Ehrenberg, vier Monate für Moritz Riedacher und drei Monate auf Bewährung für Rüdiger Einholz.

Kaum ist das Strafmaß verkündet, da heißt es auch schon von Seiten der Verteidigung: „Dieses Urteil wird keinen Bestand haben!“ Dann gehen sie gemeinsam nach draußen vor das Gebäude des Amtsgerichts, nicht etwa geknickt, sondern hoch erhobenen Hauptes, wo sie von einem wackeren Häuflein der Mahnwache aus Mitgliedern der Letzten Generation als ihre Hel­d:in­nen gefeiert werden. Am Ende eines langen Tages, an dem alle Beteiligten meinten, das Recht stünde auf ihrer Seite. Insofern muss man kein Prophet sein, um dieRandbemerkung der Richterin zu bestätigen: „Wir werden uns hier bald wiedersehen!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen