Hoffenheim schlägt Wolfsburg: Geduld und Geschick
Gegen Wolfsburg ist das Hoffenheimer Offensivspiel einmal mehr besser als die Abwehr der Kontrahenten. Eine Bewährungsprobe für die Neunationalspieler Weis und Compper.
Es sind die kleinen Dinge, die verraten, Hoffenheim ist zur Not doch auf die meisten Dinge vorbereitet, die auf der großen Fußballbühne verlangt werden. Da kann Trainer Ralf Rangnick nach 13 Spieltagen so oft er will erzählen, ihn interessiere all das Gerede von Titeln und internationalen Wettbewerben nicht. Nach dem 3:2 des Tabellenzweiten gegen den VfL Wolfsburg parlierte der 1899-Coach und frühere Englischlehrer mit chinesischen und japanischen Journalisten auf Englisch. Als die Abordnung der französischen Journalisten ein Problem hatte, kam Assistent Peter Zeidler und bewies, er kennt mehr als die notwendigen Vokabeln, um im Urlaub ein Baguette zu kaufen.
Man war ausgelassener Stimmung, denn wieder hatte der Aufsteiger einen Test bestanden. Eine gut organisierte und im Angriff brandgefährliche Elf wie den VfL Wolfsburg zu bezwingen, die zur deutschen Spitze zählt und mit einer Fünfer-Abwehr antrat. "Wir haben gegen eine der stärksten Mannschaften der Liga gewonnen und gelernt, im Spiel Widerstände zu überwinden", sagte Manager Jan Schindelmeiser. Und Rangnick staunte, "welchen Aufwand die Mannschaft betreiben musste, um Tore zu schießen". Vedad Ibisevic schoss beim 1:0 (23.) sein 14. Saisontor, Grafite (28.) schaffte den 1:1-Ausgleich, Carlos Eduardo erzielte beim 2:1 ein Traumtor, das Edin Dzeko ausglich (41.), bevor Chinedu Obasi das 3:2 (69.) gelang. Auf der Tribüne saß wieder Joachim Löw. Der steht als Bundestrainer für die internationale Bühne, obwohl er nur nach deutschen Talenten Ausschau hält. Auf dem Rasen konnte er drei Neulinge begutachten, die zum Testspiel gegen England am kommenden Mittwoch erstmals im Nationalmannschaftskader stehen und "seit Tagen an nichts anderes mehr denken" wie es der Hoffenheimer Tobias Weis ausdrückte.
Löw wird gesehen haben, nur einer löste den Vorabtest zufriedenstellend, nämlich Mittelfeldkämpfer Weis, der mit der neuen Situation besser zurechtkam als Innenverteidiger Marvin Compper und der Wolfsburger Abwehrmann Marcel Schäfer. "Auch das ist ein Teil einer Entwicklung. Es geht darum, einen ganz anderen Druck zu ertragen, den aus dem Umfeld", sagte Schindelmeiser. Man sei doch überrascht gewesen, dass Weis und Compper berufen wurden. Nicht nur in Hoffenheim hatte man erwartet, Außenverteidiger Andreas Beck würde eine Einladung erhalten.
Nun standen andere im Fokus. Der Wolfsburger Schäfer fiel kaum auf. "Wir können heute nicht zufrieden sein. Wir wollten in der Defensive gut stehen und wussten, dass die Hoffenheimer schnelle Spieler haben. Wir wollten deren Angriffe unterbinden, aber das ist uns nicht gelungen", sagte Schäfer. Und Compper zeigte sich nervös, leistete sich Patzer und nötigte Schindelmeiser zur Einschätzung, bei Gegentoren sei man "in dem Bereich nicht so souverän" gewesen. Der gebürtige Tübinger und frühere Gladbacher Profi Compper blieb nach dem Spiel zur Behandlung in der Kabine und schwieg zu seinem schwachen Auftritt. Er habe schon besser gespielt, meinte Rangnick und sagte über Weis: "Der war richtig extrem im Spiel. Außerdem hat er was in der Birne und ist taktisch und technisch gut geschult".
Als Punktsieger Weis aus der Kabine kam, lernte er, was es heißt, Neunationalspieler zu sein. Ein Heer von Reportern erwartete ihn. Heute hatte er eigentlich bei seinem ersten Verein, dem SC Bibersfeld, sein wollen und mit der E- und F-Jugend ein Training abhalten. Jetzt, meinte der 1,70 große Schwabe, freue er sich, Michael Ballack kennen zu lernen. Ständig klingle das Telefon und Freunde gratulierten ihm. Am Ende reichte es noch zu einem kleinen Seitenhieb gegen seinen Ex-Klub VfB Stuttgart. "In Stuttgart war ich immer nur kurz davor, zu einem Bundesligaeinsatz hat es nie gereicht. Hier spüre ich Vertrauen, das war auch so, als ich in der zweiten Liga lange verletzt war", sagte Weis. Rangnick zieht bei solchen Aussagen die Brauen hoch, fordert mehr Gelassenheit von den Spielern. "Das Wichtigste ist, dass die Jungs ihre Unbekümmertheit behalten." Das hatten sich auch die Reporter aus Asien und Frankreich notiert.
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